Am vergangenen Sonntag feierte eine Frau aus meiner Verwandtschaft
ihren achtzigsten Geburtstag gefeiert. Dazu hat sie ihre ganze große
Familie eingeladen. Mit einer kleinen Rede hat sie die Feier eröffnet.
In Stichworten ließ sie die einzelnen Jahrzehnte Revue passieren.
Ihre Aufzählung fand ich so gelungen, dass ich sie jetzt und
hier wiedergeben möchte. Denn die Jahre, an die sie erinnerte,
sind auch die Jahre, an die wir uns heute erinnern:
1931, das Geburtsjahr meiner Angehörigen, in diesem Jahr feierte
unsere älteste Jubilarin ihre Konfirmation. 1931 nannte die
Achtzigjährige das Jahr der hohen Arbeitslosigkeit im Deutschen
Reich.
1941 war Krieg. Im Krieg wurden diejenigen konfirmiert, die heute
ihre Gnaden-Konfirmation feiern.
Dann 1951 - das war die Zeit des Wiederaufbaus, die Zeit, als das
deutsche Wirtschaftswunder sich zu entwickeln begann. In diesem
Jahr feierten unsere heutigen Diamantenen Konfirmanden ihre Einsegnung.
Dazwischen lag 1946, das Jahr, in dem unsere Eisernen Jubilare konfirmiert
wurden. Das war kurz nach dem Krieg, als noch alles in Trümmern
lag, es noch keine Wohnungen und kein richtiges Geld gab.
1961, im Konfirmationsjahr unserer Goldkonfirmanden, wurde die Mauer
in Berlin gebaut und der Sperrgürtel durch ganz Deutschland.
Sehr viel ist seitdem passiert. 1971 bekam Willy Brandt den Nobelpreis
für seinen Einsatz um die Versöhnung mit dem Osten.
1981 war die Hoch-Zeit der Friedensbewegung. In Westdeutschland
fand eine heftige Auseinandersetzung statt um die Stationierung
von Atomraketen in unserem Land.
1991 war Deutschland wieder vereint.
Im Jahr 2001 brachten Terroristen vier Flugzeuge in ihre Gewalt
und richteten ein unvorstellbares Grauen an. Als Antwort darauf
begann Amerika die Kriege gegen Afghanistan und den Irak.
2011 - ein Jahr mit großen Katastrophen: die Kernschmelze
im Atomkraftwerk Fukushima, die Hungersnot in Afrika, die Schuldenkrise
in Europa.
So warf die Achtzigjährige kurze Blitzlichter auf einige wichtige
Ereignisse, die die acht Jahrzehnte ihres Lebens geprägt haben.
Ich finde, sie hat in ihrer Rede Ereignisse genannt, die Sie alle
in irgendeiner Weise berührt und bewegt haben.
Nach dieser Aufzählung kam sie auf ihr persönliches Leben
zu sprechen. Das war ein Rückblick voller Dankbarkeit. Denn
sie hat trotz der schlechten Zeiten im Krieg und danach viel Gutes
erlebt. "Er, Gott, der Herr, wird´s wohlmachen",
dafür ist ihr Lebenslauf ein Beispiel.
Wenn Sie, die heutigen Jubilarinnen und Jubilare, auf Ihr Leben
zurückblicken, werden Sie vielleicht auch sagen können:
Im Großen und Ganzen überwiegt das Gute. Vielleicht werden
Sie hinzufügen: Einer hat es gut gemeint und gut gemacht mit
mir.
"Gott tut nichts anderes als fügen", hat einmal eine
alte Dame gesagt, die ich sehr schätze. Vieles in unserem Leben
fügt er zum Guten. Meistens wird das erst im Nachhinein deutlich,
im Rückblick.
Deshalb ist es gut, wenn wir hin und wieder innehalten, wie wir
es heute tun, und zurückblicken auf das, was gewesen ist. Da
entdecken wir manches, was sich im Nachhinein als gute Fügung
herausgestellt hat.
Allerdings bleibt manches rätselhaft und unbegreiflich. Manches
bleibt ohne Sinn wie der plötzliche Tod eines geliebten Menschen
mitten im Leben oder eine bösartige Erkrankung, ein tödlicher
Unfall. Solche Dinge geschehen, und wir können beim besten
Willen keine gute Fügung darin entdecken.
Sie, liebe Jubilare und Jubilarinnen, haben viel erlebt in den
zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten. Als die Älteste
unter Ihnen, Margarete Eisenberger, konfirmiert wurde, waren alle
anderen bis auf die Gnaden-Konfirmanden noch gar nicht geboren.
Frau Eisenberger erzählte, dass ihre Konfirmation eine schrecklich
traurige Angelegenheit war. Eine düstere Stimmung lag über
der Feier wie bei einer Beerdigung.
Ernst war die Stimmung sicher auch bei denen, die im Krieg und kurz
danach konfirmiert wurden. An große Feiern und üppige
Geschenke, wie es heute üblich ist, war da nicht zu denken.
Einer erzählte: "Als Konfirmationsanzug habe ich den Hochzeitsanzug
meines Vaters getragen. Meine Mutter hat ihn umgenäht und für
mich passend gemacht." Eine andere berichtete, dass ihr schwarzes
Konfirmationskleid aus der Altkleidersammlung stammte. Noch einer
hatte als einziges Schuhwerk nur ein paar braune Schuhe. Die passten
farblich nicht zu dem schwarzen Anzug. Also wurden sie mit Schuhcreme
dunkel gefärbt. Als Geschenk bekamen die Mädchen ein Stück
Seife. Jungen bekamen eine Uhr, wenn sie Glück hatten. Einer
der Gnaden-Konfirmanden hat seine Uhr bis heute aufgehoben, und
sie geht noch. Ein anderer sagte: "Auf die goldene Uhr warte
ich heute noch."
1951 breiteten sich Optimismus und Zuversicht in Westdeutschland
aus. Die Geschenke hielten sich immer noch sehr im Rahmen. Aber
es konnte mit gutem Essen schon wieder schön im Familienkreis
gefeiert werden. 1961 waren die Folgen des deutschen Wirtschaftswunders
schon überall zu sehen. Neue Siedlungen standen, überall
wurde kräftig gebaut. Der junge Pastor Helmut Blank erinnerte
seine Konfirmandinnen und Konfirmanden an das Wort, das damals schon
hier hinten an der Wand stand, wo es heute immer noch steht. Er
sagte in seiner Predigt:
"Das war es, was ich euch im Unterricht mitteilen wollte: euch
das Fundament, den festen Baugrund zeigen, auf den ihr voller Optimismus
bauen könnt: Jesus Christus. Daran soll euch auch dieses Wort
heute Morgen erinnern, das Wort, das euch jeden Sonntag hier in
der Kirche vor Augen steht."
Der heutige Tag ist ein Anlass, das bisherige Leben zu betrachten
und sich zu vergewissern: Was ist der Grund meines Lebens, was hat
mir Halt gegeben, was war mir ein Trost in schweren Stunden, was
habe ich als Glück erfahren?
Da wird jede und jeder eigene Erfahrungen und Antworten haben. Wichtig
finde ich die Aussage einer jüngeren Frau, die mir am Telefon
sagte: "Glück ist ja nicht nur Gesundheit und dass alles
im Leben glatt geht. Glück ist für mich auch, dass man
in der Krankheit Hoffnung und Zuversicht behält und Kraft bekommt,
mit der Krankheit zu leben."
Diese Kraft schenkt uns der Glaube. Ich habe es selbst in letzter
Zeit einige Male erlebt, dass sehr schmerzliche Dinge passieren.
Da steht man fassungslos davor und sagt sich: "Das gibt´s
doch gar nicht. Das kann doch nicht wahr sein." Aber es ist
wahr. Und man muss damit leben. Man muss lernen, das Schmerzliche
anzunehmen, das Schwere zu tragen.
Damit bin ich wieder bei dem Vers, der über dem heutigen Gottesdienst
steht: "Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er
wird´s wohlmachen."
Im hebräischen Urtext der Bibel findet sich am Ende des Verses
nur das Verb: "Er wird´s tun. Er wird handeln."
So die wortgenaue Übersetzung. Martin Luther in seiner unnachahmlichen
Art, die Bedeutung biblischer Sätze nachzuempfinden hat das
Wörtchen "wohl" hinzugefügt. "Er wird´s
wohlmachen." Ich bin sicher, Luther hat damit genau getroffen,
was der Bibelvers meint. Denn wenn Gott handelt, kann er gar nicht
anders, als es gut zu machen.
Einmal sprach jemand Jesus an mit den Worten "Guter Meister".
Jesus wies ihn zurecht und sagte: "Was nennst du mich gut?
Niemand ist gut als Gott allein."
Gott ist vollkommen in seiner Güte, er ist durch und durch
gut, nichts Böses und Falsches hat er an sich. Deshalb kann
das, was er tut, nur gut sein. "Er wird´s wohl machen."
Darauf zu vertrauen, ermuntert der Psalmvers.
Der Liederdichter Paul Gerhardt hat das auf geniale Weise nachempfunden:
"Befiehl du deine Wege
und was dein Herze kränkt
der allertreusten Pflege des,
der den Himmel lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden
gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden,
da dein Fuß gehen kann."
Paul Gerhadt führt in seinem Lied aus, was das denn heißt,
dem Herrn seine Wege zu befehlen:
"Dem Herren musst du trauen,
wenn dir's soll wohlergehn;
auf sein Werk musst du schauen,
wenn dein Werk soll bestehn."
Was gibt uns Grund, dem Herrn zu vertrauen? Was ist Anlass zu hoffen,
dass er es wohlmachen wird? Es ist ja nicht so einfach an einen
Gott zu glauben, der alles gut macht. Vieles spricht dagegen, dass
überhaupt ein Gott in dieser Welt und in unserem Leben am Werke
ist. Wenn wir die täglichen Nachrichten hören und sehen,
dann finden wir darin wirklich wenig oder gar keine Bestätigung
dafür, dass Gott da ist und handelt. Darum mahnt Paul Gerhardt:
"Auf sein Werk musst du schauen".
Auch im eigenen Leben gibt es manches, was uns an einem gütigen
Gott zweifeln lässt. Paul Gerhardt spricht es in seinem Lied
an: Es gibt Situationen, da ist Gott mit seinem Trost ganz fern
und es scheint so, "als frag er nichts nach dir".
Sie, die Sie um die 65, 75, 80, 85 und 95 Jahre alt sind, Sie kennen
vermutlich solche Phasen in Ihrem Leben, wo von Gott, seiner Güte
und seinem Trost nicht viel zu spüren war.
Um dennoch auf Gott vertrauen zu können, rät Paul Gerhardt,
über das hinauszuschauen, was wir täglich sehen und erleben:
"Auf sein Werk musst du schauen".
Gottes Werk ist es, immer und immer wieder uns Menschen zu stärken,
uns Kraft zu geben für unsere Wege.
"Der Herr macht es, dass die Schritte eines Menschen fest werden.
Fällt er, so stürzt er doch nicht; denn der Herr hält
ihn fest an der Hand." So heißt es in dem Psalm.
Gott ist da als eine unsichtbare Macht, die tröstet und Mut
macht, die uns Vertrauen und Hoffnung schenkt.
Von ihm selbst kommt das Vertrauen, dass er es wohlmachen wird.
Damit dieses Vertrauen sich in unseren Herzen einnisten kann, brauchen
wir immer wieder die Erinnerung daran, dass Gott als gütige
Macht in unserem Leben am Werke ist. Zur Stärkung des Glaubens
feiern wir unsere Gottesdienste.
Der heutige Fest-Gottesdienst soll besonders dazu dienen, Ihnen,
den Jubilarinnen und Jubilaren, diese Gewissheit mit auf Ihre weiteren
Wege zu geben: Gott handelt, und er wird es wohlmachen.
Damals bei der Konfirmation haben Sie einen Spruch mit auf den Weg
bekommen, viele von Ihnen kennen den Konfirmationsspruch auswendig.
Mit dem Wort Gottes ist Ihnen der Segen Gottes zugesprochen worden.
Der hat sie begleitet bis auf den heutigen Tag. Der Segen beinhaltet
all das Gute, das Gott für uns tut. Gottes Segen wird auch
weiterhin mit Ihnen sein. Das wird Ihnen heute erneut zugesagt.
Diese Zuversicht sollen wir alle uns bewahren:
"Der Wolken, Luft und Winden
gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden,
da dein Fuß gehen kann."
Und der Friede Gottes, der weit über alles Verstehen hinausreicht,
möge über unsere Gedanken wachen
und uns in unserem Innersten bewahren. Amen.
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