"Ein Trostpsalm", so hat Martin Luther den Psalm 46 überschrieben.
Dieser Psalm hat ihm die Anregung gegeben für sein berühmtes
Reformationslied "Ein feste Burg ist unser Gott". Jubilare,
die vor fünfzig oder sechzig Jahren konfirmiert worden sind,
haben dieses Lied auswendig gelernt.
Ich glaube, dass wir alle Trost ganz gut gebrauchen können.
Darum habe ich den Psalm für den heutigen Gottesdienst ausgewählt.
Zunächst eine Klärung: Was ist mit Trost eigentlich gemeint?
Schauen wir auf die Herkunft des Wortes. Eng verwandt mit dem Wort
"Trost" sind die Worte "treu" und "trauen",
auch das englische "tree", auf Deutsch "Baum".
In dem Wort "Trost" steckt alles, was verlässlich
ist, Festigkeit verleiht, Zuversicht weckt, Mut macht, Treue beweist
und Stärke spendet.
Mit starken Bildern malt die Bibel den Trost aus, der von Gott kommt.
Im Jesajabuch spricht Gott: "Ich will euch trösten, wie
einen seine Mutter tröstet; ihr dürft saugen und euch
satt trinken an den Brüsten ihres Trostes." (Jesaja 66,13.11)
Trost, so kann man dieses Bild ausmalen, ist die Muttermilch Gottes.
Ein solcher Trost nährt und stärkt uns, macht vergnügt
und lässt uns geborgen sein.
Sicherheit und Geborgenheit verspricht auch das Bild von dem guten
Hirten: "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte
ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab
trösten mich."
Unser Gott, so sagt uns die biblische Botschaft, ist ein Gott,
der tröstet und Mut macht. "Gott ist uns Zuversicht und
Stärke, ein bewährter Helfer in allen Nöten".
So beginnt der Psalm, den Martin Luther "Trostpsalm" genannt
hat.
In einem Leben, das 40, 65, 75 oder gar 95 Jahre alt ist, hat sich
Gott manches Mal als Zuversicht und Stärke und Helfer in der
Not bewährt.
Die Art und Weise, durch die Gott uns Menschen begleitet, ist sein
Heiliger Geist. Hanns Dieter Hüsch hat über das Wirken
des Heiligen Geistes ein paar bemerkenswerte Sätze geschrieben:
"Der Heilige Geist ist im Auftrage Gottes unterwegs,
uns das Schwere leicht zu machen.
Es gibt aber Tage bei uns,
wo wir ihn wirklich nicht spüren
mit unserem kleinen Menschenglauben,
wo wir ihn aufs Neue erfühlen müssen
und glücklich sind,
wenn das Schwere plötzlich in uns abfällt
und Probleme sich aus dem Staub machen
und wir wieder anfangen zu lächeln,
weil der Geist in uns und bei uns ist.
Gott schickt seit Jahrtausenden
den Heiligen Geist in die Welt,
dass wir zuversichtlich sind,
dass wir uns freuen,
dass wir aufrecht gehen ohne Hochmut,
dass wir jedem die Hand reichen ohne Hintergedanken,
dass wir Gottes Kinder sind,
eins und einig,
von zartem Gemüt,
von fassungsloser Großzügigkeit
und von fröhlichem Herzen."
(Das Schwere leicht gesagt, S. 81-82)
So hilft uns Gott mit seinem Heiligen Geist, gibt uns Kraft und
Zuversicht, tröstet und macht Mut. Das Wirken des Geistes zeigt
sich daran, wie ein Mensch mit Problemen und Schwierigkeiten umgeht.
Wenn der Geist in uns und bei uns ist, fällt das Schwere plötzlich
von uns ab, Probleme machen sich aus dem Staub und wir fangen wieder
an zu lächeln. So Hanns-Dieter Hüsch.
In dem alten Trostpsalm heißt es: Weil Gott da ist als Zuflucht
und Stärke und bewährter Helfer in der Not, darum fürchten
wir uns nicht. Gott treibt mit seinem Heiligen Geist Angst und Frucht
in die Flucht.
"Wir fürchten uns nicht, auch wenn die Erde sich wandelt,
wenn Berge wanken in der Tiefe des Meeres und die Wassermassen tosen
und schäumen."
Naturgewalten, gegen die wir Menschen machtlos sind, haben wir
in diesem Jahr an verschiedenen Stellen unserer Erde am Werke gesehen.
Das starke Erdbeben in Haiti, die Überflutung in Pakistan,
die sengende Hitze in Russland. Die beiden letzten Katastrophen
scheinen wie Boten des sich verändernden Weltklimas. Solche
Katastrophen machen Menschen Angst. Gott schickt uns seinen Geist,
damit die Angst uns nicht lähmt.
Er schickt uns seinen Geist, damit wir aktiv werden. Christlicher
Glaube erschöpft sich nicht darin, bestimmte Glaubensinhalte
zu kennen und für wahr zu halten. Sie, die Sie 1950 und 1960
konfirmiert wurden, haben im Konfirmandenunterricht viel auswendig
lernen müssen. Zwei Stunden in der Woche hatten Sie Unterricht
in dem Raum nebenan, wo die Gemeinde nach dem Gottesdienst Kaffee
trinkt. Das Domcafé, so heißt dieser Raum, war früher
der Konfirmandenraum. Der Pastor stand oder saß vor dem Fenster.
In Reihen davor saßen fünfzig und mehr Konfirmanden.
Für jede Stunde hatten Sie etwas auf: eine Frage aus dem Katechismus,
Liedstrophen und Bibelverse. Der Unterricht bestand aus Abfragen,
Aufsagen, danach wurde der neue Stoff durchgenommen, der zur nächsten
Stunde zu lernen war. Das Gelernte wurde schließlich bei einer
Prüfung vor der Konfirmation abgefragt. Einiges davon hat sich
im Inneren eingeprägt. Die alten Choräle, die wir heute
singen, sind vertraut. Ebenso einige Bibelsprüche.
Es gab einen Grund für das Lernen. Sie sollten als junge Leute
etwas mitbekommen für Ihr Leben. Ein Wort, an das Sie sich
halten können. Dazu haben Sie auch alle den Konfirmationsspruch
erhalten. Für viele ist dieser Spruch ein Halt oder ein Leitwort
fürs Leben geworden.
Christlicher Glaube ist nämlich vor allem eine Lebenshilfe.
Er stärkt und befreit zu einem guten, Sinn erfüllten Leben.
"Gott ist uns Zuversicht und Stärke,
ein bewährter Helfer in allen Nöten."
So heißt das Leitwort dieses Gottesdienstes, das alle auf
einer Urkunde als Gedenkspruch mit auf den weiteren Weg bekommen.
Der Glaube an diesen Gott nimmt uns die Furcht und befreit dazu,
das Leben aktiv in die Hand zu nehmen. Erst einmal geht es darum,
das eigene Leben gut und sinnvoll zu gestalten. Das ist heutzutage
schwer genug.
Nach meiner Einschätzung ist es heute schwerer als vor fünfzig
oder sechzig Jahren. Die meisten, die vor sechzig Jahren konfirmiert
wurden, fingen nach der Konfirmation eine Lehre an. Die Konfirmation
fand am Sonntag vor Ostern statt, der den Namen Palmarum oderPalmsonntag
trägt. Mit dem Beginn der Osterferien endete für die meisten
die Schulzeit. Acht Jahre Volksschule, das war früher die normale
Schulausbildung. Viele der 1950 Konfirmierten blieben auch in Wanheim
wohnen.
Das war zehn Jahre später schon ganz anders. Da verzweigten
sich die Wege. Von den 51 Jungen und Mädchen, die 1960 hier
in der Kirche konfirmiert wurden, wohnen nur noch fünf in diesem
Stadtteil. Von den Silberkonfirmanden sind auch die meisten weggezogen.
In heutigen Konfirmandengruppen gehen zwanzig Konfirmanden in zehn
unterschiedliche Schulen.
Nach der Lehre gab es in den fünfziger und sechziger Jahren
für alle eine Stelle. Söhne konnten in den Betrieben anfangen,
in denen schon die Väter arbeiteten.
Die Lebenswege waren ziemlich klar vorbestimmt. Es gab auch noch
allgemein verbreitete Ansichten darüber, was in Ordnung und
was nicht in Ordnung ist. Dass man mit vierzehn Jahren bis in die
Nacht auf Partys ging, war vermutlich noch für die Silberkonfirmanden
undenkbar. Ebenso der Gedanken, mit sechzehn zusammen mit ein paar
anderen Jugendlichen ohne Begleitung eines Erwachsenen Urlaub zu
machen. Das ist heute vollkommen anders. Heute gibt es in unserer
Gesellschaft keine Übereinstimmung mehr darüber, was normal
und was unnormal ist. Für viele in der Gesellschaft ist alles
erlaubt, was Spaß macht und was Geld bringt.
Wir werden überflutet mit einer Vielzahl an Reizen und Informationen.
Es gibt tausend Verlockungen, diesen oder jenen Weg einzuschlagen.
Wer weiß da noch, was der richtige Weg für einen selbst
ist.
Die Moralvorstellungen, die früher viele Menschen teilten,
die Werte, die allgemein galten, waren so etwas wie ein Geländer,
an dem man entlang gehen und sich auch festhalten konnte. Heute
muss jeder junge Mensch ohne Geländer seinen Weg finden. Wenn
Eltern hier und da Grenzen setzen oder die Einhaltung bestimmter
Regeln verlangen, gelten sie als doof und spießig. Das Leben
heute, so meine Sicht der Dinge, ist unübersichtlich und damit
auch schwierig. Dazu kommt die allgemeine Unsicherheit.
Äußere Umstände beeinflussen unser Leben auch in
erheblichem Maße. Naturgewalten bedrohen uns zum Glück
nicht in dem Maße wie die Menschen in anderen Teilen der Welt.
Was ich als immer bedrohlicher empfinde, ist die weltweite Herrschaft
der Finanzjongleure und Großunternehmen. Zur Zeit, so ist
mein Eindruck, findet in unserem Land ein Ausverkauf statt. Die
Regierung verkauft unsere Zukunft an Energiekonzerne und Unternehmen,
die mit viel Geld hantieren. Volksvertreter sind zu Handlangern
des großen Geldes geworden.
Der Psalm 46 spricht auch die politischen Bedrohungen an, die Menschen
in Angst und Unsicherheit versetzen. "Nationen toben, Königreiche
wanken". Nicht nur die Natur schafft Chaos, wenn ihre Gewalt
entfesselt ist. Chaos entsteht auch da, wo Finanzmärkte entfesselt
sind, wo Regierungen keine Kontrolle ausüben, wo einzelne Personen
und Gruppen sich ungehemmt auf Kosten der Allgemeinheit bereichern
können.
Wer oder was gibt uns Orientierung in dieser chaotischen Welt?
Wo finden wir Halt und Sicherheit? Der alte Psalm behauptet: "Gott
ist uns Zuflucht und Schutz, eine feste Burg, die Sicherheit und
Geborgenheit bietet." Und wir hören den Ruf Gottes: "Lasst
ab vom Krieg, lasst ab von Unrecht und Gewalt. Erkennt, dass ich
Gott bin, der Höchste unter den Nationen, der Höchste
auf Erden."
Von Gott geht klare Weisung aus. Seine Worte sind ein Halt in all
dem, was das Leben schwer und unsicher macht.
Christlicher Glaube ist Lebenshilfe. Er gibt Halt fürs eigene
Leben. Er ermutigt dazu, sich auch für das Leben ringeherum
einzusetzen, im Stadtteil, in der Stadt, im ganzen Land. Ein wirksames
Mittel gegen alles, was uns Angst und Sorge macht, ist, selber etwas
dagegen tun. Der Glaube stärkt uns, wo und wie wir können,
selber etwas beizutragen zum Wohl der Allgemeinheit.
Das Schöne dabei ist: Man ist dabei in Gemeinschaft mit anderen
Menschen. Wo auch immer man sich engagiert, man findet auf jeden
Fall Verbündete. Wie zum Beispiel hier in der Gemeinde. Wer
hier mittut, ist mit anderen zusammen.
Was gibt uns Trost? Das war die Frage am Anfang. Trost gibt uns
der Glaube an den Gott, der uns Halt und Zuversicht bietet. Trost
geben uns andere Menschen, denen wir uns anvertrauen können,
die mit uns gemeinsam auf dem Weg sind. Diese Erfahrung haben Sie
mit Sicherheit alle auf Ihrem Lebensweg gemacht. Trost ist da, wo
Menschen einander zuhören, Freude und Leid miteinander teilen
und füreinander verlässlich da sind.
Ein sichtbares Zeichen dafür, dass auch Gott für uns
verlässlich da ist, ist diese Kirche. Sie ist wie eine schützende
Burg. Wärme und Geborgenheit strahlt dieser Raum aus. Vielen
Menschen hat dieser Ort schon Trost gegeben. Viele haben hier den
Segen Gottes empfangen.
Wir erinnern uns heute an die Konfirmation, den Tag der Einsegnung.
Die Erinnerung ist zugleich Vergewisserung. Gott wird weiterhin
mit seinem Trost und Segen mit allen sein, die bei ihm Halt und
Zuflucht suchen. Amen.
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