Damals bei der Konfirmation ist euch ein Wort aus der
Bibel zugesprochen worden. Die einen haben sich ihren Konfirmations-Spruch
selbst ausgesucht. Bei den anderen hat der Pastor einen Vers ausgewählt,
den er euch persönlich zugedacht hat. So haben es manche empfunden:
Das hat mir der Pastor als Geschenk mit auf den Weg gegeben. Ein Wort,
an das ich mich halten kann, das mich tröstet und leitet.
Anderen war wichtig, sich den Spruch selbst auszusuchen. Eine hat sich
zum Beispiel den Vers gewünscht, der hier über der Kanzel an
der Wand steht. Sie hat gesagt: "So werde ich immer, wenn ich in
der Kirche bin, daran erinnert."
Ob selbst ausgesucht oder vom Pastor, die meisten haben ihren Spruch behalten
und aufbewahrt. Damals gab es eine Mappe, in die der Spruch eingelegt
war. Jetzt zur Silber-Konfirmation haben viele diese Mappe noch einmal
hervorgeholt.
Eine erzählte bei unserem Vorbereitungstreffen, dass der Vers ihr
manches Mal geholfen, ihr Mut und Zuversicht gegeben hat. Ihre Mitkonfirmandinnen
und der eine anwesende Mitkonfirmand fühlten sich von ihrem Konfirmations-Spruch
ebenfalls angesprochen. So haben wir ihn ausgewählt zum Denkspruch
für diese Silber-Konfirmation.
"Der Herr ist meine Stärke und mein Schild;
auf ihn hofft mein Herz und ist fröhlich".
Dieser Vers hat etwas Tröstliches und froh Machendes. Tröstlich
ist, dass wir nicht allein dastehen. Wir haben einen Gefährten, der
uns von Geburt an begleitet. Meistens tut er das still und unerkannt.
Wir merken es nicht, weil wir nicht daran denken.
Dieser Tag bedeutet für euch eine Bestätigung der Konfirmation.
So habt ihr gesagt. Darum ist heute Zeit und Gelegenheit, darüber
nachzudenken: Wo und wie erweist sich Gott als Schutz und Kraft?
Die Bilder, die uns der Psalm anbietet, können uns helfen, eigenen
Erfahrungen auf die Spur zu kommen.
Vor allem das Bild von dem Schild hat es einer aus eurem Kreis angetan.
"Der Herr ist mein Schild".
Der Schild war zu biblischen Zeiten eine Schutzwaffe im Krieg. Man sieht
ihn auch heute noch, wenn Polizisten gegen Steine werfenden Demonstranten
vorgehen müssen. Der Schild dient dazu, Attacken des Gegners abzufangen
und den eigenen Leib zu schützen.
Gott ist unser Schild. Das soll heißen: Wie ein Schutzschild im
Kampf, so schützt uns Gott. Er umgibt unsere Seele mit einem sicheren
Schutz, so dass sie behütet und bewahrt bleibt.
Gott beschützt unsere Seele
Das Bild von dem Schutzschild hat etwas Tröstliches. Es lässt
uns aber auch an das denken, was das Leben bedroht. Denn wo ein Schutz
benötigt wird, da müssen Gefahren sein.
Darum frage ich jetzt weiter: Welche Gefahren sind das, gegen die wir
Gott als Schild und Schutz benötigen?
Bei der Suche nach einer Antwort geht mir durch den Kopf, was ihr bei
dem Vorbereitungstreffen gesagt habt.
Ihr habt Rückblick gehalten und festgestellt: Früher war das
Leben leichter. Ihr konntet Kind sein, frei und unbeschwert euch entwickeln,
ihr konntet euch Zuhause fallen lassen, es wurde für euch gesorgt.
Einigermaßen sorglos sind die meisten von euch aufgewachsen.
Heute ist alles komplizierter. Ihr seid keine Kinder mehr, ihr seid erwachen.
Die Verantwortung für euer Leben tragt ihr nun selbst. Viele von
euch haben Kinder, Ehe- und andere Partner, für die sie mit Verantwortung
tragen. Das ist manchmal schön und beglückend, manchmal aber
auch mühsam, mit Kummer und Leid verbunden.
Auch vom gesamten Umfeld her ist alles schwieriger geworden. Eine unübersichtliche
Vielzahl von Möglichkeiten tut sich auf, was die Lebensgestaltung
betrifft. So gut wie nichts ist mehr gesellschaftlich vorgegeben. "Alles
ist möglich". Der Werbespruch eines Autoherstellers beschreibt
unsere heutige Lebenssituation. Die große Auswahl an Möglichkeiten,
das Leben zu gestalten, stellt eine große Freiheit dar. Andrerseits
aber auch eine große Verunsicherung. Unser Lebensumfeld verändert
sich mit rasender Geschwindigkeit.
Nur ein kleines Beispiel: Als die Älteren von euch geboren wurden,
1962, da gab es ein Fernsehprogramm in Deutschland, das Erste Deutsche
Fernsehen. Am 1. April 1963 strahlte das Zweite Deutsche Fernsehen seine
erste Sendung aus, damals noch in schwarz/weiß. Ich kann mich erinnern,
wie Willy Brandt bei der Funk- und Fernsehausstellung 1967 einen Knopf
gedrückt hat. Von da an gab´s das Farbfernsehen. Mit zwei Programmen,
die am Nachmittag auf Sendung gingen, seid ihr groß geworden. Die
Auswahl war überschaubar. Und man konnte davon ausgehen: Alle hatten
das gleiche gesehen. Selbst das Fernsehen hatte noch etwas Verbindendes:
Es lieferte Gesprächsstoff. Heute sind drei und mehr Apparate in
einem Haushalt keine Seltenheit. Jedes Familienmitglied guckt sein eigenes
Programm. Unterhaltung findet nicht mehr statt. Die Technik hat das Leben
der Menschen in Beschlag genommen.
Ich finde das selbst manchmal beängstigend. Bei der Vielzahl und
der Schnelligkeit der Veränderungen beschleicht mich hin und wieder
das Gefühl, nicht mehr mitzukommen.
Es gibt noch etwas, das Angst macht: Die große Vielfalt der Möglichkeiten
ist für viele Menschen nicht da, wenn es um eine Stelle geht, wo
man arbeiten und Geld verdienen kann.
Und wer eine Stelle hat, der merkt: Im Beruf geht es oft richtig hart
zur Sache. Ein kollegiales Miteinander, das hört man aus vielen Betrieben,
gibt es nur noch selten. Die Menschen vereinzeln. Jeder ist seines Glückes
Schmied. Damit sind wir alle mehr oder weniger auf uns selbst gestellt.
Aus all dem ziehe ich die Schlussfolgerung: Gefahr droht unserer Seele.
Unsere Gemüter stehen unter einer dauerhaften Belastung und Anspannung.
Die Unbeschwertheit eurer Kindheit ist einem ständigen Angestrengtsein
gewichen. Das Leben ist anstrengend, und es gibt nur noch wenige Ruhepunkte
und Erholungsphasen.
Die Frage war: Wofür brauchen wir heute ein Schutzschild? Was bedrängt
und bedroht uns, so dass wir uns dagegen schützen müssen? Ich
weiß nicht, ob ich euer Empfinden zutreffend beschrieben habe. Mein
Empfinden jedenfalls ist: Bedrängt sind unsere Seelen durch allerlei
Unsicherheiten, Ängste und Anforderungen, die oft zu Überforderungen
werden.
Gottes Schutz erfahren wir durch den Glauben
Nun lautet die nächste Frage: Wie kann Gott ein Schild sein, der
uns schützt?
Eine Antwort gibt uns der Psalm in seiner Gesamtheit.
Der Psalm beginnt so:
"Wenn ich rufe zu dir, Herr,
so schweige doch nicht.
Höre die Stimme meines Flehens,
wenn ich zu dir schreie,
wenn ich meine Hände aufhebe
zu deinem heiligen Tempel."
Ein Mensch fleht, er schreit, er hebt seine Hände.
Wenn einer so etwas tut, ist er in Not. Er ist in einer Krise, wie wir
heute sagen. Mit dem, was ihn bedrängt, was ihm große Angst
macht, wendet er sich zu Gott.
Die ganze Szene spielt sich im Vorhof des Tempels ab. Der Tempel war von
einer großen Mauer umgeben. Innerhalb der Tempelmauer lag der so
genannte Vorhof. Dorthin kamen die Pilger, um im Tempel die großen
Feste des Jahres zu feiern. Dorthin kamen auch allerlei Notleidende: Bettler
und Arme, die auf Almosen warteten, Kranke, die Gott um Hilfe anflehten,
Verfolgte, die im Tempel Schutz suchten. Laut und lebhaft ging es im Vorhof
des Tempels zu.
Im Kontrast dazu steht die Stille, die im Innersten des Tempels herrschte.
Dort im Innersten des Tempels, im so genannten Allerheiligsten, hatte
Gott seine Wohnung. Dort, so war Israels Glaube, thronte Gottes Herrlichkeit
über der heiligen Lade, dem kostbaren Kasten mit den Gesetzestafeln.
Das Allerheiligste durfte nur einmal im Jahr ein Priester stellvertretend
für das ganze Volk betreten, um dort ein Opfer zu bringen. In diesem
Raum war es vollkommen dunkel und still.
Die Stille im Allerheiligsten gibt ein Zeugnis davon, dass Gott nicht
nur ein redender Gott ist, der den Menschen seine Worte und Weisungen
eingibt, sondern auch ein hörender Gott. Er stellt sich den Alltagsklagen
seines Volkes, hört zu, wenn die Menschen ihm ihr Leid klagen.
In die Richtung des Allerheiligsten hebt der Beter im Vorhof des Tempels
seine Hände. Von dort, von dem hörenden Gott her erwartet er
seine Hilfe. Und er bekommt sie auch. Nachdem er sein Leid geklagt hat,
bricht er in Jubel aus: "Gelobt sei der Herr; denn er hat erhört
die Stimme meines Flehens."
Wie kann Gott ein Schutzschild sein für uns? Wie erfahren Menschen
seinen Schutz? Das war die Frage. Der Psalm gibt darauf die Antwort: Durch
den Glauben. Indem sich Menschen an ihn wenden, erfahren sie, dass sie
auf unaussprechliche Weise getröstet und gestärkt werden. Indem
sie auf seine Hilfe hoffen, erfahren sie, dass ihnen geholfen wird. "Auf
ihn hofft mein Herz, und mir ist geholfen."
Darum halte ich jetzt fest: Der Glaube ist der Schild, der die Seele schützt.
Was auch immer die Not, die Gefahr oder die Bedrohung sei, Gott hat für
alles ein Ohr. Der Glaube an seine Nähe kann helfen, stärken
und trösten in jeder Situation.
Gottes Schutz erfahren wir durch die Gemeinschaft
Gottes Hilfe erfahren Menschen im Gebet. Gottes Hilfe erfahren Menschen
in der Gemeinschaft der Gemeinde. In der Gemeinde finden sich Menschen,
die tun, was wir von Gott glauben: Sie hören zu, sie sind da, wenn
sie gebraucht werden. Beides ist ein wirksamer Schutz gegen Ängste,
die uns bedrohen: Der Glaube, dass Gott da ist, der uns behütet.
Die Gewissheit, dass Menschen da sind, bei denen ich mein Herz ausschütten
kann.
Wenn ihr zurück denkt, was euch in traurigen oder schwierigen Lagen
geholfen hat, werdet ihr wahrscheinlich bestätigen: Andere Menschen.
Durch andere Menschen erweist sich Gott als schützender Schild. Und
zwar durch Menschen, die in Gottes Sinn leben und handeln.
Was solche Menschen ausmacht, darüber habt ihr in eurem Konfirmandenunterricht
gesprochen.
Eine von euch erinnerte sich: Euer Pastor, in dem Fall Wilfried Schlee,
hat euch gefragt: "Woran erkennt man einen Christen?"
Die Antwort, die sie in ihr Heft geschrieben hat, lautete:
"Ein Christ trägt ein Kreuz,
er liest in der Bibel,
er geht zum Gottesdienst."
Diejenige, der dies eingefallen ist, war damals ein schüchternes
Mädchen und traute sich nicht, im Unterricht nachzufragen. Sie hätte
gern gewusst, ob das denn alles ist, was einen Christen ausmacht. Statt
dessen hat sie die Frage in ihr Heft geschrieben: "Ist man dann wirklich
ein Christ?" Der Pastor hat irgendwann die Hefte eingesammelt und
durchgesehen. Als sie ihr Heft wieder aufschlug, sah sie, dass er eine
Antwort unter ihre Frage geschrieben hat. Die Antwort hieß schlicht
und einfach "Ja".
Ein Christ trägt ein Kreuz. Damit ist nicht oder nicht nur ein Schmuckstück
gemeint, das man an einer Kette um den Hals trägt. Sondern damit
ist gemeint, dass man Probleme, Leid im eigenen Leben wie im Leben anderer
Menschen aushält und nicht davon läuft, wenn's schwierig wird.
Dazu gehört auch, die eigenen Unzulänglichkeiten und die Fehler
anderer Menschen zu ertragen.
Es geht um Mitmenschlichkeit. Dass Menschen einander wahrnehmen und wertschätzen
mit ihren Macken und Unvollkommenheiten. Dass einer dem anderen freundlich
gegenüber tritt, auch wenn ihm dessen Nase nicht passt oder dessen
Äußerungen nicht gefallen. Für die bedingungslose Liebe
zum Nächsten, dafür ist das Kreuz das Symbol. Und für Gottes
bedingungslose Zuwendung zu uns.
Ein Christ liest in der Bibel. Das dient dazu, den Glauben zu stärken.
Denn der Glaube ist etwas, an dem man Zeit Lebens lernen und üben
muss. Dieses Lernen ist mit dem Abschluss des Konfirmandenunterrichts,
mit der Konfirmation nicht zu Ende. Im Gegenteil: Da fängt es erst
richtig an. Denn das macht einen mündigen, erwachsenen Christen,
dass er sich selbst um seinen Glauben bemüht.
Das dritte, was euch Pastor Schlee mit auf den Weg gegeben hat: Ein Christ
nimmt am Gottesdienst teil. Auch da geht es um Stärkung des Glaubens.
Im Gottesdienst geschieht diese in Gemeinschaft. Der Glaube braucht die
Gemeinschaft, er lebt in der Gemeinschaft. Was wir glauben, wird in der
Gemeinschaft erfahrbar.
Indem wir Mitmenschlichkeit üben, auf Gottes Hilfe vertrauen und
dieses Vertrauen uns immer wieder stärken lassen, indem wir in der
Gemeinschaft der Glaubenden bleiben, erfahren wir Menschen Gott als Schutz
und Stärke. Das ist euch damals mit auf den Weg gegeben worden.
Silberkonfirmation feiert ihr, um euch an früher zu erinnern und
um heute neu zu bestätigen: Der Glaube, der uns damals zugesprochen
wurde, der soll uns weiterhin in unserem Leben begleiten.
"Nun ist mein Herz fröhlich." Auch das ist euch wichtig:
Der Glaube macht froh und zuversichtlich. Er weicht vor Problemen nicht
aus. Aber er bleibt nicht darin stecken. Deshalb ist es vor allem ein
schönes, fröhliches Fest, das wir heute feiern. Eine Art Bergfest.
Eine Haltestelle zum Besinnen und Auftanken: Was euch bei der Konfirmation
zugesprochen wurde, gilt weiterhin: Gott begleitet euch auf euren Wegen
mit seinem Schutz und seinem Segen. Amen.
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