Um unser Vertrauen haben in den letzten
Monaten und Wochen die Parteien geworben. Heute ist Wahlsonntag. Da sind
wir gefragt, unsere Stimme abzugeben und die Partei zu wählen, der
wir unser Vertrauen schenken.
Viele Versprechungen sind uns, den Wählerinnen und Wählern,
im Vorfeld gemacht worden. Es ist jetzt schon klar, dass keine Partei
die Versprechen halten kann, die sie im Wahlkampf gemacht hat. Denn dann
wäre unser Land pleite. Deshalb hört und liest man oft den ironischen
Kommentar zu den vielen Versprechungen: "Es gilt das gebrochene Wort."
60% unserer Bevölkerung stimmen dem Satz zu: "Politiker können
versprechen, was sie wollen, ich glaube ihnen nicht mehr." Das hat
eine Meinungsumfrage ergeben.
Vor zwanzig Jahren war das Vertrauen in die Politiker wesentlich höher.
Da lag der Prozentsatz der Politik- verdrossenen noch bei zehn Prozent.
Seit Beginn der 90er Jahre ist das Misstrauen in die Politik gleichbleibend
hoch und hat sich von einer verdrossenen Stimmung zu einer Grundhaltung
der Enttäuschung verfestigt. Viele Menschen haben ihr Vertrauen in
die Politiker verloren.
Um das Vertrauen geht es heute in unserem Predigttext.
Mit dem Vertrauen ist das so eine Sache. Vertrauen ist ein Lebensgefühl,
das jeder Mensch im Verlauf seiner Lebensgeschichte mehr oder weniger
stark ausbildet. Dieses Grundgefühl wird schon in früher Kindheit
erworben, wenn ein Kind sich verstanden, angenommen und sicher fühlt.
Dann entwickeln sich Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, das jeder
Mensch braucht, um sein Leben zu gestalten.
Aus solchem Selbstvertrauen heraus kann ein Mensch einem anderen vertrauen.
Voraussetzung dafür ist Verlässlichkeit. Ein Mensch, der hält,
was er verspricht, der sagt, was er denkt, und der tut, was er sagt, also
einer, der ehrlich und zuverlässig ist, dem kann man vertrauen.
Doch jeder Mensch weiß, wie leicht Vertrauen zu erschüttern
ist. Wie ein zerbrechliches Gefäß, so empfindlich ist das Vertrauen.
Wenn es erst einmal beschädigt worden ist, ist es schwer, es wieder
zu reparieren. Das ist in der großen Politik genauso wie in unserem
kleinen persönlichen Leben: Einmal als Kind allein gelassen.... einmal
nicht Wort gehalten... einmal an der Wahrheit vorbeigedrückt... -
Vertrauen kann man leicht verspielen. Und enttäuschtes Vertrauen
ist schwer wieder zu gewinnen.
Auch wir als Kirche sind von einem wachsenden
Vertrauensverlust betroffen. Immer mehr Menschen kehren uns den Rücken.
Sie fragen und sagen: "Was habe ich davon, in der Kirche zu sein?"
Irgendwann einmal christlich beerdigt zu werden, das ist für einen
jungen Menschen von heute kein Grund mehr, in der Kirche zu bleiben. Die
Fragen und Zweifel betreffen nicht nur die Einrichtung Kirche. Sie gehen
tiefer. Viele Menschen haben auch in Gott ihr Vertrauen verloren. Sie
fragen: "Wo ist denn Gott in all dem Unfrieden in dieser Welt? Warum
greift er nicht ein in Israel zum Beispiel? Warum hilft Gott nicht, dass
Israelis und Palästinenser endlich den Weg des Friedens finden?"
Es fällt auch uns Christen schwer, darauf zu antworten. Auch wir
können oft genug nicht erkennen, wo Gott eigentlich ist und was er
tut, um all dem Unfrieden auf dieser Erde ein Ende zu machen. Auch wir
haben oft genug Mühe damit, Gott zu verstehen, seinen Willen zu erkennen,
den Glauben an Gott zu bewahren.
Auf diesem Hintergrund höre ich
die Sätze aus dem Hebräerbrief. Hier schreibt einer an eine
Gemeinde, die müde geworden ist - müde im Glauben, müde
im Vertrauen auf Gottes Verheißungen. Von der anfänglichen
Begeisterung ist nicht mehr viel zu spüren. Zu sehr drücken
die Lasten des Alltags, die Angst vor der Zukunft. Zu sehr hat man das
Gefühl, nichts wirklich bewegen zu können. Zu wenig sieht man
von der versprochenen Erneuerung der Welt. Wo bleibt die Hilfe, wo bleibt
die Rettung und die Erlösung, die von Gott ausgehen soll? So fragen
immer mehr Menschen. Weil sie nichts davon sehen und erfahren, kehren
sie der Gemeinde den Rücken und suchen ihr Heil woanders.
"Werft euer Vertrauen nicht weg!" Es ist immer wieder verblüffend,
wie aktuell biblische Sätze sein können. Auch wenn unsere heutigen
Gemeinden in vielem ganz anders sind als die Gemeinde, an die sich der
Hebräerbrief wendet - an diesem Punkt fühlen wir uns unmittelbar
angesprochen. Wir spüren, wie schwer sich das Vertrauen in einen
guten Weg der Menschheit durchhalten lässt. Dazu sind auch wir Christen
viel zu sehr "Kinder unserer Zeit":
· Wir nehmen die riesigen Probleme wahr, die es auf der Erde gibt
und fragen uns, wer da wirklich eine Lösung finden und durchsetzen
kann. Manchmal schwindet unsere Hoffnung, dass es noch eine gute Zukunft
für die Menschheit gibt.
· Wir nehmen die Uneinigkeit unter den Staatsführern wahr
und sind auch als Christen untereinander uneins über den Weg, den
unser Land in den Konflikten auf der Erde nehmen soll.
· Wir fühlen uns auch als Kirche oft ohnmächtig, wissen
nicht, was wir tun und sagen sollen. Wir haben Angst, uns in aktuelle
Tagesfragen einzumischen, wollen uns nicht den Mund verbrennen wollen.
Wir fragen uns auch: Was bringt das, wenn wir öffentlich sagen, was
wir glauben? Wer hört noch auf die Kirche? Wer nimmt überhaupt
zur Kenntnis, wenn sie was sagt?
Aus dem Gefühl heraus, nichts machen
zu können, ziehen sich viele Menschen zurück in ihr privates
Schneckenhaus. Auf dem Rückzug sehe ich auch uns, die Kirche. Nur
noch bei wenigen ist der Mut und das Interesse da, die Welt politisch
mit zu gestalten.
"Werft euer Vertrauen nicht
weg!" Das ist mehr als eine Ermahnung. Das ist eher ein werbende
Liebeserklärung. Wegwerfen kann ich doch nur etwas, was ich habe.
So höre ich den Satz ermutigend und einladend: "Besinnt euch
auf das, was ihr habt, auf das Vertrauen, das euch hält und trägt!"
Interessant ist es, dem griechischen
Wort ein wenig nachzuspüren, das Martin Luther mit Vertrauen übersetzt
hat. Die Ausleger des Hebräerbriefes haben sich bemüht, die
Bedeutung des hier gebrauchten Wortes zu umschreiben. Etwa so: "Es
bedeutet, dass der einmal vom Evangelium ergriffene Mensch nicht anders
kann, als der Verheißung eines gütigen Ausgangs der Geschichte
zu vertrauen und ihr mit Christus Schritt für Schritt entgegenzuleben."
Oder noch einmal anders: Der Glaube ist
eine Herzensregung, die persönliche Angelegenheit eines Menschen.
Aber darauf ist der Mensch nicht von sich aus gekommen. Gottes Handeln
geht der menschlichen Herzensregung voraus. Der Glaube hat einen Grund,
der nicht in unserem Inneren liegt. Er hat einen Grund, der außerhalb
von uns selbst ist. Dieser Grund ist Jesus Christus.
Jesus hat sich ganz auf Gott verlassen. Aus der Kraft des Glaubens hat
er große Dinge getan. Was niemand für möglich gehalten
hat, das hat Jesus vollbracht. Nicht aufgrund einer Zauberkraft, sondern
allein aufgrund des Glaubens. Oft hat er zu Menschen gesagt, die durch
die Begegnung mit ihm heil geworden sind: "Dein Glaube hat dir geholfen."
Einmal kam der Vater eines schwerkranken Mädchens zu ihm. Er zweifelte,
ob seinem Kind geholfen werden könnte. Jesus hat ihm versichert:
"Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt."
Die Kraft des Vertrauens hat Jesus selbst gehalten auf dem schwersten
Weg, den ein Mensch gehen muss: Auf dem Leidens- und Sterbensweg. Und
Gott hat seinem Vertrauen Recht gegeben, er hat es belohnt. Er hat Jesus
von den Toten auferweckt und ihm ewiges Leben geschenkt.
All das schwingt mit in dem Wort Vertrauen: Der Grund des Vertrauens,
den Gott selbst gelegt hat in Jesus Christus. Und die persönliche
Antwort darauf, die beschwingte Gewissheit, dass auch mein Leben in Gott
gehalten ist; der aufrechte Gang in der Zuversicht, dass der Weg des Vertrauens
zu einem guten Ziel führt.
"Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung
hat." Uns ist versprochen, dass wir mit Christus leben in Ewigkeit,
wenn wir im Vertrauen auf ihn unsere Wege gehen. Die große Belohnung
ist aber nicht nur für die Ewigkeit versprochen, sondern auch für
die Zeit jetzt und hier.
Jesus selbst hat das Reich Gottes verkündet und gesagt, dass dies
hier und jetzt nahe ist. Einen Hauch davon zu sehen, zu erfahren, gehört
mit zu der großen Belohnung, die den Glaubenden zugesagt ist. Diese
Belohnung werden wir aber nur dann erhalten, wenn wir uns auf den Weg
des Vertrauens einlassen. Des Vertrauens zu Gott. Damit stehen wir im
Widerspruch zu einem anderen Weg, der immer mehr Anhänger in der
Welt gewinnt. Ich meine den Weg des Vertrauens in militärische Macht
und Stärke. Dieser Weg wird uns nicht weiter führen. Er wird
das Misstrauen in der Welt verstärken und vertiefen.
Wir sehen und merken es alle: Auch der Einsatz ungeheurer Zerstörungskraft
reicht nicht aus, das Böse in der Welt zu vernichten. Die Unsicherheit
in der Welt bleibt. Die Ängste der Menschen in den mit Amerika verbündeten
Staaten werden größer, je härter die Drohungen des amerikanischen
Präsidenten werden.
Die Börse ist ein guter Gradmesser für die Seelenlage unserer
Weltgemeinschaft. Am Tag nach der Kriegsdrohung des amerikanischen Präsidenten
sackten die Kurse erneut ab. Und sie sind in den vergangenen Tagen weiter
in den Keller gegangen, nachdem ein Krieg immer wahrscheinlicher geworden
ist.
Das Vertrauen in militärische Macht ist trügerisch. Es schafft
keine Sicherheit. Es verstärkt den Unfrieden in der Welt. Es verstärkt
Ängste, Misstrauen und Hass.
Weil auf der Gewalt kein Segen ruht,
sind wir Christen zum Vertrauen in Gottes Frieden stiftendes Handeln aufgefordert.
Als Kirche erinnern wir daran, dass unser Leben, das persönliche
und wie das öffentliche Leben, mit Gott in Verbindung steht. Alles,
was wir erleben, hat etwas mit Gott zu tun. Oder umgekehrt: Gott hat mit
uns zu tun, er will mit uns zu tun haben. Er hat sich mit uns Menschen
verbündet. Diese Verbundenheit erweist sich darin, dass Gott uns
seine Weisungen gibt. Diese zu hören und zu befolgen, auf sein Wort
zu vertrauen, das ist Gottes Zumutung an uns.
Wie die Parteien um unser Vertrauen und unsere Stimme werben, so wirbt
Gott um uns. Er tut das noch viel mehr als die Parteien. Die werden nach
dem üblichen Dank an die Wählerinnen und Wähler erst einmal
aufhören, sich für uns zu interessieren. Für Gott aber
gibt es keinen Zeitpunkt, wo er damit aufhört. Täglich fragt
er nach uns. Täglich wartet er darauf, dass wir ihm unser Vertrauen
schenken.
Wenn uns das gelingt, ihm zu vertrauen, dann erfahren wir: Gerade dann,
wenn ich schwach bin, werde ich auf geheimnisvolle Weise gehalten und
gestärkt. Gerade dann, wenn ich versage oder schuldig werde, sieht
Gott mich freundlich an und macht mir Mut, es neu mit mir selbst zu versuchen.
Gerade dann, wenn ich verzweifle und nicht weiter weiß, führt
Gott mich an der Hand und zeigt mir, wie und wo es weiter geht. Und gerade
dann, wenn ich angesichts der Weltlage in Depression zu versinken drohe,
kommt von irgendwo neue Hoffnung her.
Politiker haben uns oft enttäuscht
und werden uns wieder enttäuschen. Aber deshalb ist die Staatsform,
die wir haben, die Demokratie nicht schlecht. Um sie zu erhalten, sollten
wir unsere Stimmen abgeben und wählen, auch wenn wir der betreffenden
Partei nicht voll und ganz vertrauen.
Vielleicht ist dieser Anspruch auch zu hoch. Denn voll und ganz vertrauen
können wir nur Gott. Er lässt manchmal mit seiner Hilfe auf
sich warten. Er tut manchmal nicht das, was wir uns wünschen und
erhoffen. Aber er wird unser Vertrauen nicht enttäuschen. Er wird
bei uns sein alle Tage bis an der Welt Ende.
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