"Und Pharisäer traten zu ihm
und fragten ihn, ob ein Mann sich scheiden lassen dürfe von seiner
Frau."
Eine schwierige Geschichte. Es geht um das Zusammenleben und das Auseinandergehen.
Dass Menschen heiraten und sich wieder trennen, ist alltäglich geworden.
Jede dritte Ehe endet heute mit der Scheidung, in manchen Großstädten
ist es jede zweite. Der Anteil der Beziehungen von Menschen, die ohne
Trauschein zusammen leben und auseinander gehen, dürfte noch höher
sein.
Scheidungen, Trennungen sind normal geworden. Aber noch immer empfinden
Menschen, die sich scheiden lassen, dies als einen Makel. Sie fühlen
sich als Versager. Manche ältere Menschen, die in ihrer Ehe geblieben
sind, verstärken dieses Gefühl.
Ein älterer Mann zum Beispiel sagt: "Wenn es mal nicht klappt,
dann rennen die doch heute gleich auseinander. Wir hatten´s auch
nicht immer leicht in unserer Ehe. Überall kommt ja mal was vor.
Aber wird sind durch dick und dünn gegangen. Die jungen Leute von
heute, die machen es sich viel zu einfach."
Jesus verweist in seinem Gespräch mit den Schriftgelehrten auf die
Schöpfung: "Von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen
als Mann und Frau." Zuvor, ganz am Anfang der Schöpfung, gab
es das große Auseinandergehen. Die Welt und der Mensch sind durch
Scheidung entstanden. Als Gott die Welt schuf, trennte er die Welt von
sich. Als Gott den Menschen schuf, trennte er den Menschen von sich. Gott
schied das Licht von der Finsternis, so wurde Tag und Nacht. Gott schied
die Wassermassen voneinander. So wurde Himmel und Erde. Und Gott schied
den Menschen von der Erde, indem er ihm seinen lebendigen Atem einblies.
Und er schied die Frau von dem Mann, indem er dem Mann eine Rippe wegnahm
und daraus ein neues eigenes Lebewesen formte. Bein von seinem Bein und
Fleisch von seinem Fleisch, doch ein von ihm geschiedenes Wesen.
Deshalb halte ich fest: Durch Trennung, durch Scheidung erhält jedes
Ding und jedes Lebewesen seine von Gott zugedachte Einzigartigkeit und
Besonderheit. Von daher ist und bleibt das Loslassen und Loslösen,
das sich Trennen ein großes Thema unseres Lebens.
Unser aller Leben beginnt mit einer Trennung. Bei der Geburt treibt die
Mutter ihr Kind aus ihrem Mutterleib heraus. Das erste, was geschieht,
wenn das Neugeborene da ist: Die Nabelschnur wird durchtrennt. Fortan
wird sich das Kind Stück für Stück von seiner Mutter und
seinem Vater abnabeln, wird immer mehr ein eigener Mensch werden. Und
eines Tages verlässt das Kind das elterliche Nest, um sich ein eigenes
Lebensnest zu bauen. So ist der Lauf der Dinge. So hat Gott es offenbar
gewollt. Jeder Mensch soll eine eigene Person werden, sein eigenes Ich
zum Vorschein bringen. Das ist die eine Seite.
Alles ist auf Gemeinschaft hin angelegt
Die andere Seite, das ist die Bestimmung
zur Gemeinschaft. "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei."
Das spürt jede und jeder, die oder der allein ist. Es ist nicht gut.
Besonders jetzt, wo die Tage kürzer und die dunklen Stunden länger
werden, beschleicht Alleinstehende oft ein Gefühl der Einsamkeit.
Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist, das ist wahr.
Gott hat uns Menschen zur Beziehung geschaffen. Zur Beziehung mit ihm,
dem Schöpfer. Als von ihm geschiedene Lebewesen sollen wir doch in
Verbindung mit ihm bleiben. Und als unterschiedliche Menschen sollen wir
nicht für uns bleiben, sondern in Gemeinschaft mit anderen unser
Leben führen. Jeder soll sein eigenes Ich entwickeln, aber kein Ich-Mensch
werden. Das Ich soll zum Du finden. So ist es von Gott gemeint und in
uns angelegt. Und Gott hat einen großen Antrieb dazu in unser Herz
gelegt: Die Liebe. Die Liebe drängt uns, dass wir in Beziehung bleiben
zu unserem Schöpfer. Sie drängt uns, dass wir Beziehungen suchen
und gestalten mit anderen Menschen.
Gott hat, als er die Menschen in ihrer Verschiedenheit als Mann und Frau
schuf, eine große Utopie für ihre Gemeinschaft gehabt. Die
zwei werden ein Fleisch sein. Damit ist nicht nur die sexuelle Vereinigung
gemeint. Dass zwei ein Fleisch werden, ist in einem Leib und Seele umfassenden
Sinn zu verstehen: Als eine vollkommen Lebensgemeinschaft, in der einer
den anderen achtet, in der einer den anderen wahrnimmt, für ihn sorgt
und für ihn eintritt, in der beide sich gegenseitig helfen und darin
fördern, ein jeweils eigener Mensch zu sein und zu werden und in
der beide lassen, was den anderen kränkt, verletzt und klein macht.
Mit einem Wort: Eine uneingeschränkte und bedingungslose Solidargemeinschaft,
das ist Gottes große Utopie für uns.
Ich halte als zweites fest: Wir sind entstanden durch Trennung, als unverwechselbares
Ich geschaffen. Wir sind bestimmt zur Gemeinschaft. Auf ein Du hin sind
wir von Anfang an bezogen. Auf das Du des Schöpfers und auf das Du
des anderen Menschen.
Gemeinschaft kann zerbrechen
Wie nun die Gemeinschaft leben? Darum
geht es in dem Text über die Ehescheidung im Markus-Evangelium. Wir
wissen alle, dass es nicht gut ist, allein zu sein. Ich nehme an, die
meisten Menschen wissen auch, wie beglückend es ist, mit einem Menschen,
den man liebt, zusammen sein zu können. Aus dem Grund, weil es so
beglückend ist und weil sie das Glück dauerhaft erleben wollen,
ziehen Menschen zusammen und heiraten. Jedes Paar, das in der Kirche vor
dem Traualtar steht und Ja zueinander sagt, ist voll guter Hoffnung: Wir
gehören zusammen und wir bleiben zusammen unser Leben lang.
In Traugesprächen frage ich danach, ob die Traufrage den Satz beinhalten
soll "bis dass der Tod euch scheidet". Die Antwort lautet: "Sonst
würden wir ja nicht heiraten." Paare, die heiraten, haben den
festen Vorsatz, die feste Absicht und den festen Willen, ihr Leben lang
zusammen zu bleiben.
Aber dann passiert es, dass das anfängliche Glück verfliegt.
Das frische Verliebtsein weicht einem eintönigen Nebeneinanderherleben.
Aus wacher Aufmerksamkeit für den anderen Menschen wird Gleichgültigkeit.
Aus einer Beziehung, in der einer dem anderen hilft, ein ganzer Mensch
zu sein und zu werden, wird ein Gefängnis, in dem einer den anderen
einengt.
Als ein Beispiel für viele lese ich, wie die 37-jährige Monika
ihre Ehegeschichte schildert:
"Nach ein paar Jahren wurde unser Leben immer eintöniger. Ich
war unzufrieden. Als ich anfing, mich zu verändern, hat mein Mann
jede Initiative von mir belächelt und abgewertet. Dennoch habe ich
den Trainerinnen-Schein gemacht, Kinder und Jugendliche trainiert, viele
neue Menschen und auch mir bisher unbekannte Seiten des Lebens kennen
gelernt. Ich war neugierig geworden auf mein Leben, auf mich und auf das,
was alles in der zweiten Hälfte meines Lebens noch passieren wird.
Jahrelang war ich hin und her gerissen zwischen dem Gefühl, mich
nicht gegen
die Bewertungen von Gerd wehren zu können, im Alten verharren zu
müssen, und dem Wissen, dass ich mich doch verändern darf.
Vor drei Monaten bin ich mit meinen Kindern ausgezogen - an einem Punkt,
wo es mir nach dem Tod meiner Mutter klar wurde, dass ich mich entscheiden
muss. Ich will endlich auf eigenen Füßen stehen, niemanden
mehr Rechenschaft schuldig sein über das, was ich tue oder lasse.
Wenn ich in unserem ehemals gemeinsamen Haus bin, werde ich traurig. Dann
merke ich, dass ich irgendwie auch meine Heimat verloren habe. Das tut
verdammt weh. Auch wenn ich meinen 14-jährigen Sohn und meine 16-jährige
Tochter ansehe, habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen. Aber ich kann
nicht anders. Wenn ich zu Hause geblieben wäre, hätte ich aus
meiner Sicht keine Chance auf Veränderung gehabt."
So weit die Geschichte von Monika. Nun die Frage: Ist
das, was diese Frau schildert, was viele Menschen so oder ähnlich
erleben, gegen Gottes Gebot?
Wenn wir jetzt die Bibel zu Rate ziehen, muss eins vorher klar sein: Dass
eine Frau sich von ihrem Mann trennt, war zu biblischen und zu Jesu Zeiten
nahezu undenkbar. Das konnte nur eine Frau tun, die wirtschaftlich abgesichert
war. Und das waren die wenigsten. Der umgekehrte Fall kam häufiger
vor: Dass ein Mann seine Frau verlässt. Pharisäer fragen Jesus:
Darf das sein? Wie so oft, antwortet Jesus mit einer Rückfrage: "Was
steht geschrieben bei Mose?" Natürlich wissen die Schriftgelehrten,
was Mose geboten hat: "Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu
schreiben und sich zu scheiden."
Dies war eine Schutzvorschrift für die Frauen. Die Frau war sozusagen
in Ehren aus der bisherigen Ehe entlassen. Der Scheidebrief ermöglichte
ihr, eine neue Ehe einzugehen. Jesus bestätigt diese Rechtsvorschrift
und fügt hinzu: "Um eures Herzens Härte willen hat Gott
euch dieses Gebot gegeben." Eigentlich hat Gott es anders gemeint.
Nämlich so, dass Mann und Frau zusammen bleiben und solidarisch ihr
Leben teilen. Es entspricht dem Wesen der Liebe, die Gott in unser Menschen
Herz legt, dass sie Bestand hat, dass sie dauerhaft trägt, auch und
gerade in schweren Zeiten. So wie Gott uns Menschen mit seiner Liebe dauerhaft
trägt. Jede menschliche Liebe hat etwas von dieser göttlichen
Liebe, die niemals aufhören wird. Deshalb entspringt das Verbot Jesu,
sich scheiden zu lassen, dem Wesen der Liebe selbst: Was in Liebe zusammen
gekommen ist, kann sich nicht wieder trennen.
Nun kennt aber Jesus auch die Herzens
Härte der Menschen. Er weiß, wie weit wir Menschen uns von
der göttlichen Vollkommenheit entfernen. Oft ist es kein böser
Wille, oft ist es einfach nur menschliche Unvollkommenheit und Begrenztheit,
dass Eheleute sich entfremden und trotz großer Anstrengungen nicht
mehr zusammen finden. Manchmal merken Eheleute nach Jahren, dass es nicht
wirklich Liebe war, was sie zusammen geführt hat. Sie erkennen, dass
sie im Grunde gar nicht zusammen passen. So schreibt eine 47-jährige
Frau: "Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass es ein Fehler
war, ihn zu heiraten. Aber auf der anderen Seite musste es wohl so sein.
Sonst wäre ich nicht an diesem Punkt meiner heutigen Entwicklung."
(Gewagtes Glück, S.27)
Ich halte als drittes fest: Herzens Härte, menschliche Schwäche,
menschliches Fehlverhalten - all das gibt es. In einer Beziehung führt
es manchmal zu einer Verletzung, die nicht mehr heilbar ist, zu einem
Riss, der nicht mehr zu kitten ist. Es führt dazu, dass man sich
auseinander lebt. Das ist die Wirklichkeit in dieser noch nicht erlösten
Welt.
Es gilt, die Schwachen zu schützen
Gott rechnet mit unseren Fehlern. Seine
Gebote zielen darauf, die negativen Folgen von menschlichem Fehlverhalten
einzudämmen. Sie zielen auf den Schutz des Schwächeren. In der
alten von Männern beherrschten Gesellschaft war die Frau in der schwächeren
Position. Ihrem Schutz dient der Scheidebrief. Dieses Gebot hebt Jesus
nicht auf. Im Gegenteil. Er erweitert den Blick auf die, die auch den
Schutz der Gemeinschaft nötig haben: Die Kinder. Sie sind meist die
Schwächsten in einer Ehe oder Ehe-ähnlichen Beziehung. Jesus
nimmt sie in den Blick und in den Arm. Er segnet sie. Die Geschichte von
der Kindersegnung steht im direkten Zusammenhang mit dem Gespräch
über die Ehescheidung. Das soll doch wohl besagen: Wenn ein Paar
sich scheiden lässt, dann gilt es vor allem, die Kinder zu schützen.
Ich halte als viertes fest: Jesu Weisungen zur Ehescheidung haben den
Schutz der Schwächeren zum Ziel.
Gemeinde soll ein verlässliches Umfeld sein
Daraus ergeben sich Folgerungen für
uns heute: Es darf nicht sein, dass Väter ihren Unterhaltspflichten
nicht nachkommen, wie das vielfach geschieht. Es darf auch nicht sein,
dass die Mütter ihren Kindern den Kontakt mit dem Vater erschweren
oder unmöglich machen, um dem früheren Ehemann auf diese Weise
etwas heimzuzahlen.
Trotz aller Schwierigkeiten, die sie miteinander haben, sollten geschiedene
Eheleute das Wohl ihrer Kinder im Auge behalten. Die starke und manchmal
auch plötzliche Veränderung des Zusammenlebens bringt Trauer,
Verunsicherung, Angst und Wut mit sich. Es ist für die weitere Entwicklung
der Kinder wichtig, dass sie diese Gefühle nicht verdrängen
müssen, sondern Menschen haben, mit denen sie reden können.
In aller Regel lieben Kinder beide Eltern und wollen auch weiterhin Raum
für diese Liebe haben. Und Kinder brauchen ein Mindestmaß an
Normalitätsgefühl. Sie müssen spüren, dass ihre Umgebung
den außerhalb der Familie lebenden Elternteil in seiner Funktion
als Vater oder Mutter weiterhin akzeptiert und ernst nimmt.
Die Erfahrung lehrt, dass belastende Gefühle, die gefühlt werden
durften und die von der nahen Umgebung verstanden wurden, sich abmildern
und vorübergehen.
Deshalb halte ich fünftens fest: Freunde, Verwandte und auch wir
als Gemeinde tun gut daran, für die Ehepartner in der Krise einer
Trennung und für die Kinder ein verlässliches Umfeld zu sein,
in dem sie sich gehalten und gestützt fühlen.
Das Bild von Jesus, der die Kinder segnet, kann für alle Familienmitglieder
auch nach einer Trennung etwas Tröstliches sein: Trotz des Scheiterns
ihrer Ehe stehen beide Ehepartner weiterhin unter Gottes Schutz und Segen.
Dies den Eheleuten zu sagen, die sich von trennen, und niemanden zu verurteilen,
das ist auch unsere Aufgabe als Gemeinde.
"Jesus herzte sie und legte ihnen die Hände auf und segnete
sie." So etwas brauchen alle Beteiligten gerade in einer Trennungssituation.
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