Freude und Leid gehören zusammen in unserem Menschenleben.
So sehr wird Gott Mensch, dass er alles mit uns teilt, was unser Leben
ausmacht: Geburt und schmerzlichen Tod.
Kreuz und Krippe machen deutlich, dass Gott vor allem das Leben der kleinen
Leute teilt. In der Ärmlichkeit eines Stalls wurde das Jesuskind
geboren. Einen elenden schmerzhaften Tod am Kreuz ist er gestorben. Diesen
Tod am Kreuz hatten die Römer vorbehalten für Leute, die sie
als Rebellen verdächtigten. Das konnte jeder sein.
So wie heute russische Todesschwadronen im Kaukasus nachts in die Häuser
von Tschetschenen eindringen und die Männer verschleppen. Man findet
sie später tot irgendwo liegen, im Hinterkopf ein Einschussloch.
Mehr als 1500 solcher Morde sind dokumentiert. Die wirkliche Zahl liegt
wahrscheinlich um ein Vielfaches höher.
Die Mächtigen lassen solche Morde verüben, um ihre Herrschaft
zu festigen und jeden Widerstand zu brechen. Genau diesem Zweck dienten
die Kreuze, die der römische Kaiser aufstellen ließ. Jesus
teilt das Schicksal derer, die einen ungerechten Tod erleiden. Und das
sind meistens die kleinen Leute.
Die sind es auch, die Jesus zujubeln, als er in Jerusalem einzieht. "Hosianna
- oh Herr, hilf doch!" Das ist der flehentliche Schrei derer, die
am Ende ihrer eigenen Möglichkeiten sind. Es ist der Verzweiflungsschrei
aus einem der Pessachpsalmen.
Zum Pessach oder Passahfest zieht Jesus in Jerusalem ein. Es ist das Fest
der Befreiung. Er wird, er muss kommen, der Befreier. So warten und hoffen
sie in Israel. Damals, zu Zeiten der Römer, haben sie ganz besonders
sein Kommen herbeigesehnt. Denn die Römerherrschaft war grausam und
ungerecht. Die erwartungsvolle Stimmung war mit Händen zu greifen.
Da lag was in der Luft. In dieser hoch brisanten Situation wagt Jesus
eine prophetische Zeichenhandlung. Die notleidenden Massen haben ihn verstanden.
Jesus stellt sich mit seiner Handlung in die Geschichte des Königs
David.
Der König auf einem Esel
Diese Geschichte spielt in Davids letzten Lebenstagen.
Der alte König kann weder leben noch sterben. Er ist am Ende mit
seiner Kraft. Sein ältester Sohn bereitet schon den Machtwechsel
vor. Er richtet ein festliches Mahl aus. Dazu lädt er alles ein,
was Rang und Namen hat. Die Würdenträger aus Kirche und Adel
sollen ihn noch vor Vaters Tod zum König und Davidssohn ausrufen.
Nicht geladen zu dieser Krönungsfeier sind "kreti und pleti",
das einfache Volk. Nicht dabei sind auch die von den hohen Herren Ungeliebten.
Allen voran Davids Lieblingsfrau Bathseba, deren Sohn Salomo und seine
Anhänger.
Sie hören, was der älteste Königssohn plant und melden
dies dem König. David, zwar alt und gebrechlich, aber noch bei vollem
Bewusstsein, entscheidet: "Salomo soll nach mir König sein,
und er soll für mich auf meinem Thron sitzen." (1. Könige
1,30) Um diese Entscheidung zu veröffentlichen, lässt David
seinen Esel aus dem Stall holen und befiehlt: "Setzt meinen Sohn
Salomo auf meinen Esel und salbt ihn zum König und lasst ihn auf
dem Esel in Jerusalem einziehen." Das Volk versteht diese Symbolhandlung
und jubelt Salomo zu: "Es lebe der König Salomo!" So wird
der vom Adel Geschmähte und Gemiedene zum "König des Volkes"
(1. Könige 1,39-40)
Durch die Jahrhunderte war dies eine Hoffnungsgeschichte
für die Unterdrückten und Verachteten. Der Prophet Sacharja
gibt davon ein Zeugnis mit seiner berühmten Weissagung:
"Du, Tochter Zion, freue dich sehr,
und du, Tochter Jerusalem, jauchze!
Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer,
arm und reitet auf einem Esel". (Sacharja 9,9)
Und nun reitet wieder einer auf einem Esel in Jerusalem
ein, arm und ohne stolze Pracht. Und die Massen verstehen ihn und jubeln
ihm zu. Sie huldigen dem kommenden König auf ihre Weise. Ihr "roter
Teppich" ist grün. Sie haben kein Geld für kostbare Stoffe,
statt dessen nehmen sie das, was an den Bäumen wächst: Blätter
und Zweige. Sie haben auch keine Kapelle zur Hand, um dem König eine
Begrüßungshymne zu spielen. Statt dessen benutzen sie ihre
Stimmen und loben laut den, der da kommt im Namen des Herrn. Von ihm,
dem Herrn aller Herren, erwarten die Menschen ihre Hilfe. Sie richten
ihre Hoffnungen in die Höhe. "Hosianna in der Höhe!"
So rufen sie.
Hilfe kommt von unten
Die Hilfe, die Jesus mit sich bringt, aber ereignet sich
in der Tiefe.
Der Sohn Davids ist kein Supermann, der alle in die Knie zwingt, so dass
sie ihm bereitwillig gehorchen. Sondern der ist einer, dem nichts Menschliches
fremd ist, der die Angst kennt wie die Tränen, der selbst in die
Knie geht und als hilfloser Helfer zuletzt jämmerlich stirbt.
An ihm wird deutlich, wie der Allmächtige auf seine Macht verzichtet
und menschliche Ohnmacht aushält. Damit nötigt er uns Menschen,
uns von unseren Allmachtsphantasien zu verabschieden. Nicht mit himmlischen
Heerscharen greift Gott ins Weltgeschehen ein. Er übt Machtverzicht.
Auf diese Weise kommt er den Menschen und besonders den Geringsten unter
ihnen ganz nah. Er wird ihnen gleich. Mit einem Begriff, der heute gern
gebraucht wird, kann man sagen: Gott begegnet uns Menschen in Augenhöhe.
Er würdigt uns, seine Partner zu werden, seine Stellvertreterinnen
auf Erden. Er traut uns zu, dass wir im Hören auf seine Weisungen
das uns Mögliche tun.
Was schwer zu verstehen ist
Aber Gott nimmt dabei in Kauf, dass er verkannt wird.
Ein Kind in einer Futterkrippe, von einer armen Mutter in einem Stall
geboren - es ist schwer, darin etwas von Gott zu erkennen. Einer, der
scheitert mit seiner Mission auf der Erde, der elend am Kreuz zu Tode
gequält wird - der soll Gottes Sohn sein?
Es fällt uns Menschen schwer zu akzeptieren, dass Gott sich so klein
und unscheinbar macht. Darum machen wir aus Weihnachten ein Riesen-Bromborium.
In der Adventszeit jagt eine Feier die andere. Ein Weihnachtsmarkt übertrifft
den anderen. Es gibt mittlerweile viele, wo man unbedingt gewesen sein
muss. Krippe und Kreuz sind heute Schmuckgegenstände, die vermarktet
werden wie alles. Die harte, erbarmungslose Wirklichkeit, die hinter beiden
steht, wird vollkommen ausgeblendet.
Dass Gott sich so klein und unscheinbar macht, das fällt besonders
denen schwer zu akzeptieren, die in der christlich geprägten Welt
das Sagen haben. Die Politik der westlichen Staaten ist bestimmt von Allmachtsphantasien,
wie sie extremer kaum sein können. Die kanadische Regierungssprecherin
hat den, der sich als Weltherrscher aufspielt, einen "Schwachkopf"
genannt. Diese Frau war eine der engsten Mitarbeiterinnen des kanadischen
Regierungschefs. Sie ist eine, die Einblick hat in das politische Geschehen.
Ihr kann man zutrauen, dass sie mit ihrer Einschätzung nicht ganz
daneben liegt. Inzwischen ist sie zurückgetreten. So etwas darf eine
öffentliche Person nicht sagen, auch nicht in vertrautem Kreis. Denn
die ganze Welt huldigt dem allmächtigen Präsidenten. Es mögen
manche so denken, wie die Kanadierin. Allmachtsansprüche und Dummheit
liegen oft dicht beieinander. Aber davon wird die Welt gegenwärtig
beherrscht.
Der Gegensatz dieser Politik zum Handeln Gottes kann kaum größer
sein.
Was soll man denn tun? So höre ich schon die Frage derer, die das
Kriegsgetöse für richtig halten. Mit Krieg jedenfalls wird man
den Terrorismus nicht besiegen. Im Gegenteil: Je gewalttätiger die
Staatsgewalten werden, desto mehr Menschen treiben sie damit in den Terrorismus.
Krieg und Terror sind zwei Seiten einer Medaille. Beide verstärken
und befördern sich gegenseitig. Deshalb ist die Kriegspolitik, die
gegenwärtig betrieben wird, dumm. Sie hilft niemandem. Sie macht
das Leben auf der ganzen Erde unsicherer. Sie führt die Welt in eine
schlechte Zukunft.
Gott hat mit seinem Tun gezeigt, wie das Zusammenleben der Menschen auf
friedliche Weise geregelt werden kann. Krippe und Kreuz stehen für
Gewaltverzicht. Sie zeigen, wie Gott für uns Menschen einsteht. Sie
ermutigen dazu, dass die Menschen solidarischen füreinander einstehen.
Gott will unter uns wohnen
Krippe und Kreuz sind Teil unserer Kirche. Wir finden
die beiden Symbole in unserem Kirchenfenster oben über der Orgel.
Es ist das erste, das Weihnachtsfenster vorne links. Im unteren Teil in
der Mitte ist die Krippe angedeutet, wie man sie von vorn sehen kann.
Darüber erhebt sich ein Kreuz. Das Besondere ist: Aus der Mitte des
Kreuzes erstrahlt der Weihnachtsstern. Ein heller gelber Stern, dessen
Strahlen in alle Richtungen gehen. Nur deshalb feiern wir Weihnachten
und bedenken den Leidensweg Jesu, weil es Ostern gibt. Es bleibt nicht
beim Kreuz. Gott lässt sich durch die Gewalt der Menschen nicht zum
Schweigen bringen. Jesu Weg geht weiter. Er reicht bis in unsere heutige
Zeit. Immer wieder versucht er es neu mit uns. Immer wieder lockt Gott
uns Menschen, seinen Weg mitzugehen.
Der helle Stern hüllt die Krippe in ein helles Licht. Die Adventszeit
lädt uns ein, die Krippe in unserem Leben zu finden. Sie lädt
uns ein, in dem Kleinen, Unscheinbaren unseres Daseins Gott zu erkennen.
Ja, wir können es wagen zu denken: Gott will unsere Herzen zu einer
Krippe machen, zu einem Ort, wo er einziehen und wohnen kann. In uns und
mit uns will Gott etwas bewegen und bewirken.
Vielleicht ist das das tiefste Geheimnis, das sich in Krippe und Kreuz
verbirgt: Gott kommt nicht als der große Macher, der von außen
alles richtet. Gott kommt, um uns von innen her zu erfüllen und umzuwandeln.
So will er die ganze Welt umwandeln, die Menschen friedlich stimmen, sie
trösten in ihrem Leid, sie ermutigen, ihm zu vertrauen.
|