Liebe Gemeinde,
gerade haben wir ein Kind getauft. Dabei sind die großen
Worte gesagt worden, die einem jeden Menschenkind bei der Taufe zugesprochen
werden: "Du gehörst zu Gott. Auf ihn kannst du dich verlassen.
Er ist bei dir alle Tage."
Diese Worte sind auch über Jesus ausgesprochen worden, als er getauft
wurde. Eine Stimme vom Himmel sprach: "Das ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe."
Die Taufe verbindet uns mit ihm. Versprochen ist uns, dass Jesus in der
Gestalt seines Geistes immer bei uns ist. Wenn wir das glauben, dann werden
wir auch dunkle Zeiten im Leben bewältigen. Solche dunklen Zeiten
werden uns nicht erspart. Hin und wieder müssen wir durch ein finsteres
Tal gehen oder Berge der Angst türmen sich vor uns auf. Manchmal
lauert das Böse auch in sehr verlockender, verführerischer Weise
auf uns.
Selbst Jesus ist der Weg durch dunkle Zeiten, selbst ihm ist die Auseinandersetzung
mit dem Bösen nicht erspart worden.
Taufe heißt also nicht: Nun gehöre ich zur Gemeinde, nun habe
ich meinen Glauben, ich brauche nichts mehr dafür zu tun. Sondern
im Gegenteil: An seiner Taufe hat man sein Leben lang zu arbeiten, wie
Martin Luther gesagt hat. Als Getaufter muss ich mich jeden Tag neu bewähren.
Jeder Tag stellt mich vor neue Aufgaben, fordert mich aufs Neue heraus,
fordert auch meinen Glauben, mein Getauftsein heraus.
Das erzählt die Geschichte von der Versuchung Jesu. Sie schließt
sich direkt an die Taufgeschichte an. Gerade noch hat die Stimme aus dem
Himmel zu Jesus gesprochen und ihm gesagt, dass er Gottes geliebter Sohn
ist. Im nächsten Vers heißt es dann schon:
Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt,
wo er vom Teufel auf die Probe gestellt werden sollte. Nachdem er vierzig
Tage und Nächte gefastet hatte, war er hungrig.
Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: »Wenn du Gottes Sohn
bist, dann befiehl doch, dass die Steine hier zu Brot werden!«
Derselbe Geist, der bei der Taufe in Gestalt einer Taube
auf Jesus herabkam, führt ihn nun in die Einsamkeit. Auch wir kennen
und erleben solche Zeiten, die wie eine Wüste sind. Zeiten, in denen
einem das Leben leer und sinnlos vorkommt. Zeiten, wo wir mit uns selbst
zu kämpfen haben. Die Versuchungs-geschichte Jesu zeigt: Es kann
durchaus sein, dass Gott uns in solche Zeiten hineinkommen lässt.
Das Leben ist nicht nur eitel Glück und Sonnenschein. So wünschen
wir es uns vielleicht manchmal. Aber so ist es nicht. Es ist mit Mühe
und Arbeit verbunden, mit Anstrengung und Entbehrung. Und offenbar will
Gott, dass es so ist. Erst im Paradies werden wir das Leben in seiner
ganzen Fülle sehen und schmecken.
In der Wüste sind die Entbehrungen besonders groß.
Eine lange Zeit hat Jesus nichts gegessen. Kein Wunder, dass er Hunger
hat. Die Versuchung liegt nahe, aus Steinen Brot zu machen. "Wenn
du Gottes Sohn bist". Genau auf das, was ihm bei der Taufe zugesagt
worden ist, spricht der Versucher Jesus an: "Wenn du Gottes Sohn
bist, dann hast du doch besondere Kräfte. Dann kannst du aus Steinen
Brot machen. Tu´s doch."
In dieser Geschichte können wir uns wieder erkennen. "Brot und
Spiele", das haben schon die alten Römer gewusst, sind das Mittel,
um das Volk ruhig zu halten. Wenn die Leute satt sind und genug Möglichkeiten
haben, sich zu zerstreuen, dann sind sie zufrieden, dann kümmern
sie sich um nichts anderes mehr. Das ist immer noch so.
Die höchstbezahlten Angestellten sind heute nicht Personen, die etwas
Besonderes für die Menschheit leisten. Es sind Personen, die die
Massen unterhalten: Rennfahrer, Tenniscracks, Fußballprofis. Ich
habe nichts gegen Sport und Unterhaltung, im Gegenteil. Ich finde nur,
die Relationen stimmen nicht. Was diese Menschen bekommen, steht in keinem
Verhältnis zu dem, was sie leisten und zu dem, was andere leisten.
Das Beispiel zeigt, welchen Stellenwert die Unter-haltung und Zerstreuung
in unserer Gesellschaft hat. Längst ist der Sport nicht mehr die
schönste Neben-sache der Welt. Längst ist er zu einem gewaltigen
Wirtschaftsfaktor geworden. Eine riesige Industrie sorgt dafür, dass
wir rund um die Uhr gut unterhalten sind.
Worin besteht da die Versuchung? Sie besteht darin, dass wir ohne Unterhaltung
und Zerstreuung gar nicht mehr leben können. Das Leben an sich käme
uns öde und leer vor. Die Versuchung besteht darin, dass wir über
all der Zerstreuung nicht mehr wahrnehmen, was schief läuft in der
Welt, was ungerecht ist und unbedingt verändert werden muss. Vielleicht
nehmen wir es noch wahr, aber uns für irgendwelche Veränderungen
einzusetzen, dazu fehlt dann die Zeit.
"Wenn es mein Sohn wäre, der in den Krieg ziehen müsste,
dann würde ich auch auf die Straße gehen." So denken und
reden viele. Nur wenn es ganz direkt einen selbst betrifft, sind Menschen
bereit, sich zu engagieren.
Es erfordert Arbeit, Geduld, langen Atem, sich für etwas einzusetzen,
das das Leben für alle lebenswerter macht. Doch genau diese Anstrengung
ist von uns verlangt, wenn wir Söhne und Töchter Gottes sein
wollen.
Jesus antwortete dem Versucher: »In den Heiligen Schriften steht:
'Der Mensch lebt nicht vom Brot allein; sondern von jedem Wort, das Gott
spricht.'«
Es geht darum, was Vorrang hat in unserem Leben, was
das Wichtigste ist. Wenn wir Jesus folgen, dann bleiben wir in der Spur
Gottes. Dann leben wir als seine Töchter und Söhne und setzen
uns dafür ein, dass diese Erde ein Zuhause für alle Menschen
ist. Denn als
Kinder Gottes sind wir verbunden mit allen anderen Töchtern und Söhnen
Gottes und mit allen anderen Geschöpfen; wir sind Teil des großen
Lebens auf der ganzen Erde.
Darauf führte der Teufel ihn in die heilige Stadt
Jerusalem, stellte ihn auf den höchsten Punkt des Tempels und sagte:
»Wenn du Gottes Sohn bist, dann spring doch hinunter; denn in den
Heiligen Schriften steht: 'Gott wird seine Engel schicken, und sie werden
dich auf Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einem
Stein stößt.'«
Die Versuchung, am Leben vorbei zu leben, kann auch in
frommen Worten daherkommen. Der Versucher benutzt hier einen Psalmvers,
um Jesus zu sagen: ´Lass dich doch einfach fallen, Gott wird dich
auffangen. Du brauchst dich gar nicht anzustrengen, du brauchst den mühevollen
Weg, den du dir vorgenommen hast, gar nicht zu gehen. Überlass alles
Gott. Er wird's schon machen.`
Das klingt sehr fromm. Den Gott, der hier beschworen wird, hat Dietrich
Bonhoeffer als "Lückenbüßer-Gott" bezeichnet.
Überall, wo wir Menschen nicht weiter-kommen, da schieben wir Gott
die Verantwortung zu. Gott soll in unsere Lücken springen. Aber das
tut er nicht. Er sorgt nicht von oben herab für Frieden, wenn Menschen
alles Erdenkliche tun, um Krieg zu führen.
Gott sagt uns, was er will. Er gibt uns Menschen Kraft und Mut, zu tun,
was er will. Aber er nimmt uns das Tun nicht ab. Frieden auf Erden müssen
wir Menschen selber schaffen. Und wenn wirs nicht schaffen, dann ist Krieg.
Aber nicht Gott ist dafür verantwortlich, sondern wir. Jeder Krieg
ist ein Versagen der Politik, ein Versagen der Menschheit. Und wir können
unser menschliches Versagen nicht Gott in die Schuhe schieben, indem wir
zum Beispiel sagen: Warum lässt Gott das zu?
Die Frage muss vielmehr lauten: Warum lassen wir Menschen das zu, das
zum Himmel schreiende Unrecht auf der Welt, den gigantischen Aufmarsch
am Golf, der täglich Hunderte von Millionen kostet. Kostbare Mittel,
die fehlen zum Aufbau einer gerechteren Welt.
Jesus antwortete: »In den Heiligen Schriften heißt
es auch: 'Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht herausfordern.'«
Das heißt: Wir Menschen sollen tun, was unsere
Aufgabe und Verantwortung ist. Wir können Gott um Hilfe bitten, um
Kraft und Mut und Wegweisung. Aber wir können uns nicht ausruhen
mit dem Glauben: Gott wird's schon richten. Er erwartet, dass wir Menschen
das Unsere dazu tun, damit unser eigenes Leben gelingt und damit es auf
der Erde menschlich und gerecht zugeht.
Zuletzt führte der Teufel Jesus auf einen sehr
hohen Berg, zeigte ihm alle Reiche der Welt in ihrer Größe
und Pracht und sagte: »Dies alles will ich dir geben, wenn du dich
vor mir niederwirfst und mich anbetest.«
Jetzt geht es um die nackte Macht. Der Versucher lässt
alle frommen Sprüche beiseite. Er lässt Gott beiseite. Wo es
um Macht geht, spielt Gott keine Rolle mehr.
Das können wir gegenwärtig in der großen Weltpolitik gut
beobachten.
Die Weltherrschaft, die der Versucher Jesus anbietet, maßt sich
heute die Regierung der Vereinigten Staaten an. Verschiedene europäische
Politikerinnen und Politiker, darunter auch deutsche, schreiben Briefe
an die Weltmacht, um ihre Ergebenheit zu bekunden. Kinder in der Schule
sagen zu solch einem unter-würfigen Verhalten: "Die schleimen
sich ein." Das will der Versucher, der heute in Gestalt der Weltmacht
auftritt: Dass man sich bei ihm einschleimt, dass man sich ihm unterwirft.
Versprochen wird allen, die sich unterwerfen, dass sie zu den Freunden
der Weltmacht gehören. Sie dürfen sich mit im Glanze ihrer Macht
sonnen. Versprochen wird auch Teilhabe am Reichtum der Weltmacht, den
sie sich bei ihren Kriegszügen erbeutet. "Das alles gehört
dir, wenn du niederfällst und mich anbetest."
Zu Jesu Zeiten war Rom die Weltmacht. Das römische
Imperium regierte mit Gewalt und saugte die Völker aus. Wer sich
dieser Macht unterwarf, konnte ein angenehmes Leben führen. Nur:
Für Gerechtigkeit oder Erbarmen, für Nächstenliebe und
die Königsherrschaft Gottes war in diesem Leben kein Platz mehr.
Das ist heute genauso. Wo die Weltmacht ihre Herr-schaft durchsetzt, ist
für Gerechtigkeit und Mensch-lichkeit kein Platz mehr. Denn alles
wird dem einen Ziel untergeordnet: Die Reichtümer der Erde an sich
zu reißen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird hemmungslos gelogen.
Mit Hilfe des Fernsehens werden die Massen manipuliert in einer Weise,
dass sie nicht mehr wissen, was wahr und was falsch ist.
Zum Glück lassen sich die Völker nicht so verbiegen, wie es
ihnen die Regierenden und die, die gerne regieren möchten, vormachen.
Zum Glück behalten viele Menschen in dem alten Europa einen klaren
Kopf und glauben nicht alles, was ihnen erzählt wird.
Zum Glück sagen viele, wie damals Jesus gesagt hat: »Weg mit
dir, Satan! In den Heiligen Schriften heißt es: 'Vor dem Herrn,
deinem Gott, wirf dich nieder, ihn sollst du anbeten und niemand sonst.'«
Es kommt also darauf an, dass wir wissen, wohin wir gehören.
Sind wir getauft, sind wir Kinder Gottes, dann gehören wir zu Gott
und haben ihm allein zu dienen. Dann sind wir misstrauisch gegenüber
jeder Form von Weltherrschaft. Dann sind wir misstrauisch gegenüber
jeder Form von Macht, die sich mit Gewalt durch-setzen will. Dann stehen
wir auf und leisten Wider-stand, wenn das Unrecht Überhand nimmt.
Ich bin überzeugt davon: Wenn die Völker nicht so energisch
aufstehen würden, wie sie es tun, dann gäbe es schon längst
Krieg.
Nachdem Jesus dem Versucher klar gemacht hat, dass er
sich ihm nicht unterwirft, ließ der Teufel von Jesus ab, und Engel
kamen und versorgten ihn.
Das ist meine Hoffnung immer noch: Dass die Menschheit insgesamt sich
klar darüber wird, wem sie zu dienen und woran sie zu arbeiten hat:
Am Aufbau einer Welt, in der es gerecht zugeht, in der die Starken Rücksicht
auf die Schwachen nehmen, in der die Regierenden ihre Macht zum Wohl des
Volkes ausüben, in der nicht mehr das Recht des Stärkeren gilt,
sondern die Stärke des Rechts.
So eine Welt aufzubauen, haben sich die Völker der Erde nach dem
2. Weltkrieg vorgenommen. Leider sind sie von diesem Ziel weit abgekommen.
Aber dort müssen sie wieder hinfinden, wenn das Leben auf der Erde
eine Zukunft haben soll.
Alle Kinder Gottes auf der ganzen Erde haben mit ihrer Taufe den Auftrag
bekommen, ihren Beitrag am Aufbau einer gerechten und friedlichen Welt
zu leisten.
|