So spricht Gott, der Vater Jesu Christi:
Wenn ihr euch zu mir wendet und still bleibt,
wird euch geholfen,
durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein.
Wir sind hier, weil wir Ruhe suchen. Draußen knallt
es schon seit Tagen. Heute Nacht wird wieder mit großem Lärm
das neue Jahr begrüßt werden. Doch wir sind hier, um uns noch
einmal auf das zu Ende gehende Jahr zu besinnen, bevor das neue anfängt.
Eine überregionale Zeitung, die ich lese, hat in diesem Jahr angefangen,
jeden Tag eine Nachricht für Kinder zu schreiben. Nicht alle, aber
viele dieser Nachrichten habe ich aufgehoben. In den vergangenen Tagen
habe ich sie noch einmal überflogen.
"In Deutschland gibt es zu wenige Kindergärten", hieß
es Anfang Mai. Ende Mai wurde ein neuer Bundespräsident gewählt.
Im Juni war die Europawahl. Dabei ist die SPD dramatisch abgestürzt.
Ähnlich erging es unserer Fußballnationalmannschaft. Am Ende
wurde überraschend Griechenland Europameister.
Im Sommer kam die Urlaubszeit. "Fast die Hälfte der Deutschen
verreist nicht", hieß eine Meldung Ende Juni.
Der Sommer brachte auch gewaltige Tornadas, die eine verheerende Schneise
der Verwüstung durch Florida zogen. Selbst hier bei uns jagte eines
Abends ein Orkan durch die Stadt und hinterließ abgedeckte Dächer
und umgeknickte Bäume.
Im August konnten wir uns an den Olympischen Spielen in Griechenland erfreuen.
Am 15. Oktober war Welternährungstag. Da hieß es in der Kindernachricht:
"An diesem Tag sollen alle darüber nachdenken, dass viele Menschen
Hunger und Durst leiden müssen. Etwa 800 Millionen Menschen auf der
Welt haben nicht genug zu essen oder zu trinken, also zehnmal so viele
Menschen, wie Deutschland Einwohner hat. Jeden Tag sterben etwas 18.000
Kinder an Unterernährung."
Das ganze Jahr über begleiteten uns Nachrichten vom anhaltenden Krieg
im Irak. Trotzdem wurde Kriegspräsident Bush wieder gewählt.
Dieses Mal sogar ohne Wahlfälschung. Ein Rückschlag für
alle, die sich eine gemäßigtere Regierung der Weltmacht erhofft
hatten.
Den Friedens-Nobelpreis erhielt zum ersten Mal überhaupt eine afrikanische
Frau. Sie wird "Mutter der Bäume" genannt. Denn sie hat
den Anstoß dazu gegeben, dass in Kenia in den letzten Jahren mehr
als 30 Millionen Bäume gepflanzt wurden.
Im September haben wir die Stadtparlamente neu gewählt. Zum wiederholten
Male bekam die SPD die Quittung für ihre schlechte Politik.
Im Herbst kürten Sprachwissenschaftler zum schönsten deutschen
Wort das Wort "Habseligkeiten". An zweite Stelle setzten sie
das Wort "Geborgenheit". Eine Tschechin hat es vorgeschlagen
mit der Begründung, dass man in ihrer Sprache die Gefühle der
Geborgenheit nicht in Worte fassen kann. Das macht für sie dieses
Wort zum Lieblingswort der deutschen Sprache. Auf den dritten Platz kam
das Wort "lieben", weil es nur ein "i" vom Leben entfernt
ist. Geben die schönsten deutschen Worte so etwas wie die Sehnsucht
der Menschen wieder, so drückt sich in den Worten des Jahres die
harte Wirklichkeit aus.
"Hartz IV" heißt das Wort des Jahres. Es kennzeichnet
die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in unserem Land, die wachsende
Ungerechtigkeit und die wachsende Entfremdung der Politiker von der Basis.
Auf den zweiten Platz kam das Wort "Parallelgesellschaften".
Davon spüren wir hier in Wanheim eine Menge. Unsere beiden Grundschulen
sind so etwas wie zwei Parallelgesellschaften. Mit der Schule hat auch
das dritte Wort des Jahres zu tun: "Pisagebeutelte Nation".
Jetzt geht das Jahr zu Ende. Aber die Welt kommt nicht zur Ruhe. Die Nachrichten
von den grauenhaften Zerstörungen in Südostasien schockieren
uns. Wieder einmal bekommen wir vorgeführt, wie hilflos wir Menschen
sind angesichts der Naturgewalten. Bemerkenswert finde ich auch, wie sofort
in aller Welt Hilfsmaßnahmen anlaufen.
Das waren einige Schlaglichter und Schlagzeilen von dem, was in der Welt
geschah. Auch in der Kirche hier in Duisburg ist etwas geschehen. Aus
ehemals elf Gemeinden in Duisburg-Süd wurden neun. Aus ehemals zwei
Kirchenkreisen in Duisburg auf dieser Seite des Rheins wurde einer.
Und wie war das Jahr für uns persönlich? War es ein gutes Jahr?
Oder standen Krankheit und Sorgen im Vordergrund?
Ein älterer Herr beschrieb es so: "Für mich war es ein
schlechtes Jahr. Im Frühjahr bin ich operiert worden und seitdem
nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. Es wartet so viel Arbeit auf
mich, aber ich habe nicht die richtige Lust gehabt zum Arbeiten und auch
nicht die nötige Kraft." Er sah richtig unglücklich aus.
Eine jüngere Frau erzählte von ihrer Unruhe. Die Umstrukturierungen
in der Firma nehmen kein Ende. Nun ist auch ihr Arbeitsplatz bedroht.
Mit Sorgen geht das Jahr zu Ende.
Sorgen machen sich auch die vielen Menschen, denen durch die ab Januar
geltenden neuen Sozialgesetze erhebliche Einbußen drohen. Wie sollen
sie über die Runden kommen? Ein richtiger Kahlschlag droht den katholischen
Gemeinden und Einrichtungen. Überall in den Gemeinden - auch in
unseren
evangelischen - macht sich die Sorge breit: Wie soll es mit der Kirche
weiter gehen, wenn sie sich immer mehr aus dem öffentlichen Leben
zurück zieht?
Neben den besorgten Stimmen höre und lese ich in letzter Zeit immer
häufiger, wir Deutschen seien ein Volk von Nörglern und Schwarzsehern.
Es gibt ein Zukunftsinstitut in Kelkheim bei Frankfurt. Zwei Mitarbeiter
des Instituts haben einen Aufsatz veröffentlicht. Darin schreiben
sie, dass heute Zuversicht, positives und konstruktives Denken gefragt
sind. Pessimismus ist ihrer Meinung nach eine Grundkrankheit der heutigen
Zeit, die viele Menschen depressiv werden lässt.
Richtiges Denken, sagen die Zukunftsforscher, ist optimistisches Denken.
Damit meinen sie nicht Blauäugigkeit, sondern einen Optimismus, der
sich nichts vormacht: Die Welt sehen, wie sie ist, aber sie an ihren Möglichkeiten
messen.
Damit sind die Zukunftsforscher nahe dran an dem, was christliche Hoffnung
ausmacht. Denn unsere Weltsicht als Christen ist von dem bestimmt, was
wir sehen. Unsere gesamte Bibel lehrt uns, genau wahrzunehmen, was in
der Welt geschieht. Die Bibel macht uns nichts vor. "Das Dichten
und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf."
So heißt es in einem der grundlegenden Texte (1. Mose 8,21). Wozu
der Mensch in seiner Bosheit fähig ist, schildern viele Geschichten
der Bibel. Unser Glaube ist gerade kein Opium, das uns die Sinne vernebelt.
Sondern er hilft und ermuntert uns, genau hinzusehen und möglichst
viel vom Leben wahrzunehmen. Deshalb sind wir als Christen oft auf der
Seite der Schwarzmaler. Denn wir erkennen deutlich das Negative, das Schlechte
und Böse und Falsche, das wir Menschen tun und geschehen lassen.
Aber wir bleiben dabei nicht stehen. Sondern wir malen uns eine Welt aus,
wie sie nach Gottes Willen sein sollte und sein könnte. Wir sehen
die guten Möglichkeiten, die Gott in uns Menschen und in der ganzen
Welt angelegt hat. Das macht die Kraft unseres Glaubens aus. Er stärkt
und ermutigt uns dazu, hinter alle negativen Erfahrungen ein trotziges
"Dennoch" zu setzen. Trotz allem, was uns an Gott zweifeln lässt,
halten wir am Glauben fest. Trotz allem, was uns an der Fähigkeit
der Menschen zweifeln lässt, friedlich und gerechte Verhältnisse
herzustellen, halten wir an diesem Ziel fest: Die Welt ist so angelegt,
dass es friedlich und gerecht darin zugehen soll. Und auch wir Menschen
sind so angelegt, dass wir immer zu friedlichen und gerechten Verhältnissen
hinstreben. Trotz allem, was wir an persönlichen Sorgen haben, behalten
wir die Zuversicht: Gott wird schon einen Weg für uns finden.
Der Text, der uns für heute Abend vorgegeben ist, schildert in aller
Deutlichkeit, was passiert, wenn Menschen Gottes Weisungen nicht beachten:
Das Unrecht breitet sich aus wie ein Riss in einer Mauer, und irgendwann
stürzt die Mauer ein. Wir Deutschen haben diese Erfahrung ganz lebendig
vor Augen. Vierzig Jahre herrschte im Osten ein Unrechtsregime, das eine
Mauer um seine Einwohner gebaut hat. Vor fünfzehn Jahren bekam die
Mauer einen Riss. Und dann war sie ganz schnell weg.
Längst merken wir, wie ein Riss durch unsere Gesellschaft geht. Und
wir müssen aufpassen, dass nicht irgendwann unser ganzes System zusammen
bricht, weil die Ungerechtigkeit überhand genommen hat.
Die Bibel rechnet damit, dass die Menschen sich abwenden können
von falschen Wegen. Sie rechnet mit der Fähigkeit der Menschen umzukehren,
sich zu Gott hinzuwenden und das Gerechte und Menschliche zu tun.
Dass wir Menschen menschlich, hilfsbereit, solidarisch handeln können,
das ist auch jetzt wieder festzustellen in der großen Katastrophe
im fernen Osten. Aus allen Teilen der Welt treffen Hilfsgüter und
Personen ein, die helfen. Angesichts der großen Katastrophe wird
alles andere unwichtig. Konflikte werden zurück gestellt, Kriegshandlungen
eingestellt. Es geht jetzt erst einmal darum, den am meisten von dem Unglück
Betroffenen zu helfen. Es geht darum zu verhindern, dass der Flut weitere
Katastrophen wie Seuchen und Hungersnot folgen.
Menschen in aller Welt sind erfasst von dem Gefühl und dem Bewusstsein,
dass hier geholfen werden muss. In allem Schrecklichen, was Menschen
jetzt erleiden, ist auch dies zu spüren: Eine große Einigkeit
und Hilfsbereitschaft.
So zeigt die Katastrophe neben allem Furchtbaren auch, was wir Menschen
im Guten zu leisten vermögen. Und sie zeigt Wunder, die Gott in allem
Leid geschehen lässt:
Ein zwanzig Tage altes Baby überlebt die Flutwelle auf der Matratze
seines Bettchens, die im Wasser schwimmt. Ein vierjähriger Junge
sitzt zwei Tage lang in einem Baum, auf den ihn die Welle geworfen hat.
Ohne Essen und Trinken harrt er dort aus, bis er lebend gefunden wird.
Ein dreizehnjähriges Mädchen treibt zwei Tage lang auf einer
Tür im Meer, bis die Wellen sie schließlich wieder an Land
spülen. Ein brasilianisches Paar tauchte gerade im Meer, als die
Welle über sie hinwegschoss. Sie haben in fünfzehn Meter Tiefe
nur eine leichte Strömung bemerkt.
Geschichten von wunderbarer Rettung mitten in der Katastrophe.
An solche Geschichten klammern wir uns als Glaubende und gewinnen daraus
die Zuversicht: Gott will, dass die Menschen gerettet werden und dass
ihnen geholfen wird. Sein Name, den er in Jesus offenbart hat, heißt
schließlich: Gott hilft.
Diesen Gedanken zu helfen, wo Hilfe nötig ist, den hat Gott auch
in uns Menschen gelegt. Angesichts einer solchen Katastrophe wie der jetzigen
in Südostasien ist dieser Gedanke in vielen Menschen lebendig und
bringt entsprechende Taten hervor. Es wäre gut und in Gottes Sinn,
wenn daraus eine ständige Haltung würde. Eine Haltung, die auch
an den wirtschaftlichen Strukturen etwas ändert, denen täglich
18.000 Kinder zum Opfer fallen.
Es wäre gut und in Gottes Sinn, wenn diese Erkenntnis insgesamt
wieder größer wird unter den Menschen: Dass die Erde nur dann
Lebensraum für alle bleibt, wenn alle zusammen halten und nicht jeder
versucht, für sich das meiste und beste herauszuholen.
Zu dieser Erkenntnis will uns Gott immer wieder verhelfen.
Der Prophet sagt im Namen Gottes:
"Wenn ihr euch zu mir wendet und innehaltet,
dann wird euch geholfen,
durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein."
Still sein meint nicht Untätigkeit. Sondern Stille zu Gott hin.
"Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft." So heißt
es in einem Psalm. Indem wir innehalten und unsere Gedanken zu Gott hinwenden,
erkennen wir, dass Gott da ist, gerade da, wo Furchtbares geschieht.
Aus dieser Erkenntnis können wir Zuversicht schöpfen auch für
unser eigenes Leben: Gott wird auch uns in dem vor uns liegenden neuen
Jahr begleiten. Das Mensch gewordene Gotteskind ist bei uns alle Tage
bis an der Welt Ende. In diesem Glauben können wir gestärkt
und zuversichtlich dem neuen Jahr entgegen gehen.
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