Predigt zu 1. Mose 18,16 32 |
22. Mai 2005 |
Was soll man denn wählen? |
"Was soll man denn wählen?
Man ändert ja doch nichts." Diesen Satz hört man, wo man
hinkommt. Was soll man machen ? Man ändert ja nichts. Ich will eine Geschichte erzählen, die ich in der vergangenen Woche in der Zeitung gelesen habe. Es geht dabei nicht um die Parteien und um irgendeine Wahl. Die Geschichte handelt davon, dass Bürger in ihrer Stadt schon etwas machen können, selbst wenn sie nur wenige sind, die sich engagieren. "Zehn von dreizehnhundert"
so ist der Artikel überschrieben (FR 17.05.2005). Der Untertitel
heißt: "In Mücka in Ostsachsen wehrt sich kaum ein Dutzend
Einwohner gegen eine NeonaziDisco und braune Umtriebe". Pfarrer Andreas Rietschel beerdigt fast nur noch sonnabends, nicht an anderen Tagen. Die jungen Leute wollen es so. Die jungen Leute aus Mücka und den Nachbardörfern, die heutzutage in München und Stuttgart arbeiten und gerne dabei sein möchten, wenn einer, den sie mal kannten, unter die Erde kommt. Pfarrer Rietschels Sohn arbeitet in Pfaffenhofen bei München. Überhaupt, viele seiner Konfirmanden. "Wer bleibt, hängt herum", sagt er. Die Stimmung sei nicht gut. "Es gibt böses Blut." Pfarrer Rietschel, 62, ein gemütlicher Mann mit gesunden Ansichten. Ein graues Pfarrhaus, ein altes gelbes Kirchlein, das Dach marode, die Wände feucht. Vor gut zehn Jahren kam der "Wodan", die Neonazidisco. Ein moderner gelber Schuppen. Zunächst eine normale Disco, sagen die Leute. Dann ging es wirtschaftlich bergab. Man spezialisierte sich auf Rechte. Hunderte brausten jedes Wochenende zum "Wodan". "Singen und Tanzen für Deutschland", hieß das und blutrünstige Skinheadmusik war es. Immer war die Polizei dabei. Wochenende für Wochenende. Und in Mücka störten sich die wenigsten daran. Bis zum vergangenen Sommer, als der NPDVerlag "Deutsche Stimme" ein so genanntes Pressefest in Mücka abhielt. Mitten im sächsischen Landtagswahlkampf. Diesmal war es mehr als SkinheadMusik und Besäufnis. Fast 7000 kamen. Neonazis aus ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich. Da war mal richtig was los in Mücka. Hüpfburgen für Kinder; Bier, Würstchen, Neonazimusik und markige Sprüche für die Alten. Ein großes braunes Volksfest. Anschließend räumten NPDFunktionäre und Helfer so gründlich auf, dass etliche Mückaer noch heute davon schwärmen. "Es war ein Schock", sagt Pfarrer Rietschel. "Die Leute sagten: Die machen weniger Dreck als unsere Mittelschüler. Alles aufgeräumt, blitzblank, vorbildlich." Gastwirte und Pensionsbesitzer freuten sich über die Einnahmen. Das war im August 2004. Und im September, bei der Landtagswahl, stimmten 18 Prozent der Mückaer für die NPD. Doppelt so viele wie im Landesdurchschnitt. Das hat dann doch einige sehr erschreckt. Den Bürgermeister, einige Gemeindepolitiker, den Pfarrer, die Schulleiterin. Die Anständigen halt. Zehn von dreizehnhundert. Pfarrer Rietschel machte Informationsabende. Sechs Leute kamen. Er hielt Gottesdienste, wollte "Impulse" geben. Aber die Leute fingen an zu schimpfen, er halte politische Predigten, unverschämt. Zu den wenigen, die sich im Ort engagieren, gehört Silvia Förster, die Direktorin der Mittelschule. 250 Kinder, ein lebendiges Haus, viel Holz, hell, neu, sehr freundlich. Die Schule ist das Schmuckstück des Dorfes. Die Direktorin wollte nicht in einem braunen Mücka leben. Sie mischte sich ein. Sie organisierte einen Runder Tisch
in ihrer Schule. Viele Mückaer kamen, aber auch NPDFunktionäre
aus Dresden. Und die schrieen herum. Schulleiterin Förster warf sie
raus. Zwei Wochen später luden die Neonazis zur Gegenveranstaltung
in die Disco, beschimpften die Lehrerin, verbreiteten, es gebe Drogenprobleme
an der Schule. Vier TVStationen rückten an, Reporter zogen durch
Mücka. Sogar die New York Times hatte einen Mann geschickt. Für
die Neonazis wurde der Abend zum Flop. Und jetzt? Bernhard Saß ist ein drahtiger kleiner Mann von 68 Jahren. Auch er gehört zu den Leuten, die sich ärgern über Neonazis, über die Trägheit im Kopf der Mitbewohner, über das stille Tolerieren. "Wir müssen uns geistig damit auseinander setzen. Wir müssen die zurückdrängen", sagt er. Und er tut das auch: In seinen DiaVorträgen, im Heimatverein, wo es eben geht. Es gebe schon Leute im Dorf, die aktiv gegen den rechten Spuk hielten, aber höchstens zehn. "Mehr sind das gar nicht", sagt er. Aber diese zehn haben einiges bewirkt.
Als ich die Geschichte las, fiel mir sofort eine andere Geschichte ein:
Die von Abraham, der mit Gott feilscht um das Überleben der Stadt
Sodom. Es geschah großes Unrecht in der Stadt. Und offenbar war
niemand da, der etwas dagegen tat. Die einen profitierten davon. Die anderen
litten darunter, aber sie hielten den Mund und machten nichts. Gott sagte:
"Das Unrecht schreit zum Himmel. So kann es nicht bleiben und nicht
weitergehen. Das muss ein Ende haben. Und es wird ein Ende haben, ein
böses Ende." Die zehn Gerechten sind bis heute die
Anzahl, die für das Zustandekommen des jüdischen Gottesdienstes
notwendig sind. Zehn Menschen müssen es sein, damit ein Gottesdienst
gefeiert werden kann. Darunter geht es nicht. Aber zehn sind ja nicht
viel. Es bedarf, wie der jüdische Glaube lehrt, immer nur weniger,
um die Welt zu retten. In dem 1300Seelen Dorf in Sachsen haben sich zehn Aufrechte gefunden. Und sie haben gereicht, um dem braunen Spuk ein vorläufiges Ende zu machen. Die Frage ist: Wie sieht es mit unserem
Land aus? Wird es da auch genügend Gerechte geben, die das Land bewahren
vor dem weiteren Verfall in eine erbarmungslose EllenbogenGesellschaft,
in der nur noch das Geld zählt, und in der nur noch der zählt,
der Geld hat? Es gibt Zeitungen und Fernsehmagazine,
die Missstände und Ungerechtigkeiten aufdecken. Es gibt das politische
Kabarett, das den Regierenden einen Spiegel vorhält. Das Problem
scheint aber zu sein: Der Abstand zwischen uns, dem Volk, und denen in
den Partei und Konzernspitzen ist so groß geworden, dass die uns
nicht mehr hören und wahrnehmen. Nachtrag Der Wahltag hat gezeigt, dass die Mehrheit
der Bundesbürgerinnen und bürger von der rotgrünen Steuer
und Finanzpolitik "die Schnauze voll hat", wie Ulrich Deppendorf
vom WDR in einem Kommentar am Sonntag Abend gesagt hat. Die CDU allerdings wird sich messen
lassen müssen an ihren Wahlkampfversprechen: "Arbeit statt RotGrün."
Was sie im Wahlkampf nicht gesagt hat, muss sie nun zeigen: Wie sie mit
ihrer Politik dafür sorgt, dass Arbeitsplätze geschaffen werden.
Keine Billigjobs, sondern echte Stellen, von deren Einkünften auch
Familien leben können. |