Predigt zu Markus 9,14-29 |
18. September 2005 |
Von der Kraft des Glaubens |
Es geht hoch her in unserem Land. Die Stimmung ist angespannt.
Regierende und solche, die es werden wollen, übertreffen sich mit
gegenseitigen Beleidigungen und Verdächtigungen. Ein großer
Streit ist im Gang, ein harter Kampf um die Macht und ums Geld. Denn wer
an die Macht kommt, der kann Weichen stellen, wie die Reichtümer
in unserem Land verteilt werden. Die Ängste der Deutschen sind auf einem Rekordhoch:
Jeder Zweite blickt mit großer Angst in die Zukunft. Das ist das
Ergebnis einer Studie, die vor zehn Tagen veröffentlicht wurde. Ganz
oben stehen die Ängste vor steigenden Preisen, einer weiteren Verschlechterung
der wirtschaftlichen Lage und davor, arbeitslos zu werden. Auffallend
ist: Der Einzelne fühlt sich von den sozialen Einschnitten zunehmend
selbst betroffen - die persönlichen Ängste sind in diesem Jahr
am stärksten gewachsen. Gleichzeitig nimmt die Sorge zu, dass die
Politiker mit den aktuellen Problemen überfordert sind. Zwei Drittel
der Bundesbürger haben wenig Vertrauen in die Politik. Mit einem Streit beginnt die Geschichte, die an diesem
heutigen Sonntag ein wenig Licht in unsere Köpfe und Herzen bringen
soll, eine wirkliche Mutmachgeschichte. Sie macht uns Mut, mitten in dem
großen Durcheinander einen kühlen Kopf zu bewahren und an eine
gute Zukunft zu glauben. Ich persönlich empfinde sie als eine der
schönsten und wichtigsten in der Bibel. Inhalt des Streits ist die Krankheit eines Jungen. Krankheiten,
das ist heute Allgemeingut, hängen eng mit dem Leben in unserer menschlichen
Gemeinschaft zusammen - mit Überforderungen im Beruf oder in der
Schule, mit Ängsten und Enttäuschungen, mit Spannungen und Konflikten
in der Familie und zu nahe stehenden Mitmenschen. Um welche Krankheit geht es eigentlich? "Er hat
einen sprachlosen Geist", so heißt es. Wenn der ihn überkommt,
wird er "starr"; dann ist er total dicht. Er nimmt nichts mehr
wahr, was um ihn herum und in ihm ist. Er kennt seine Herkunft nicht mehr.
Er sieht keine Zukunft mehr. Die Gegenwart spürt er nicht mehr. Werfen wir einen Blick auf unsere heutige Gesellschaft. Auch sie ist erstarrt in der einseitigen Blickrichtung auf wirtschaftliches Wachstum, auf Aktienkurse und möglichst hohe Gewinne der Unternehmen. Kaum etwas anderes fällt den Politikern ein. Sie wollen unser Land "zukunftsfähig" oder "fit für die Zukunft" machen und wie die Schlagworte alle heißen. Das müsste bedeuten, dass dabei besonders an unsere Kinder und deren Kinder gedacht würde und auch an die Kinder der Menschen in anderen Teilen der Welt. Statt dessen steht eine weitere Steuerreform im Mittelpunkt der Debatte. Diese würde der Allgemeinheit noch mehr Mittel entziehen und in die Taschen der Reichen fließen lassen. In eine Zukunft, in der auch unsere Nachkommen noch gut leben können, führt dieses Konzept nicht. Genau das ist der Grund dafür, dass kaum mehr Kinder geboren werden in unserem Land. Ein Beispiel für eine Politik, die den Nachkommen die Zukunft offen hält, ist Norwegen. Dort sind in der vergangenen Woche die Parteien gewählt worden, die nicht den Reichen Steuergeschenke machen, sondern die Steuern hoch halten, um Geld für Schulen, Krankenhäuser und Altersheime zu haben. Norwegens neue Regierung baut auf gemeinschaftliche, solidarische Lösungen. Sie fördert das Gemeinwohl und schwört dem Trend zu Privatisierung und Marktanpassung ab. "O du ungläubiges Geschlecht, wie lange muss ich euch ertragen!". Dieser Stoßruf käme Jesus vermutlich auch beim Anblick unserer Gesellschaft über die Lippen. Und wir als Kirche sind Teil davon. Auch wir schaffen es nicht, wirklich Glauben zu verbreiten, anzusagen, wohin der Weg unserer Gesellschaft gehen soll. Mein Eindruck ist: Wir trauen uns auch nicht. Aus Angst, jemandem auf die Füße zu treten. Aus Sorge, dann nicht mehr unparteiisch zu sein oder überparteilich, wie sich die Kirche gern gibt: Mit offenen Ohren und Verständnis für alle. Deshalb gibt es von Kirchenleuten, die in der Öffentlichkeit gefragt und gehört werden, in der Regel nicht viel zu hören. Wir trauen uns nicht. Das hat auch etwas mit mangelndem Glauben zu tun. "Ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie meinem Jungen helfen sollen, und sie konnten's nicht." So berichtet der Vater des Jungen, als Jesus nach dem Grund der Aufregung fragt. Hinterher, als sie mit Jesus allein sind, fragen ihn die Jünger: "Warum konnten wir dem Jungen nicht helfen?" Und Jesus antwortet: "Hier kann nicht anders geholfen werden als durch Beten." Jesus selbst hat oft die Stille gesucht. In einer anderen
Geschichte erzählt der Evangelist Markus, dass Jesus allein auf einen
Berg ging, um dort zu beten. (Markus 6,46). Dann sah er, wie seine Jünger
sich in der Nacht beim Rudern abplagten. Ein heftiger Wind blies ihnen
entgegen. Er machte sich auf, ihnen beizustehen und ging über das
Wasser zu ihnen. Schauen wir uns noch einmal genauer an, was geschieht,
wenn Gott mit seiner Kraft eingreift. Der erste Schritt zur Heilung, das
wissen auch wir, ist immer: Wahrnehmen, was ist. Die Symptome genau erkennen,
die Dauer der Krankheit feststellen. Wie jeder Arzt fragt, so fragt Jesus:
Wie lange hat er das? Und er lässt sich erklären, was passiert,
wenn die Krankheit den Jungen ergreift. Er lässt sich von dem Vater
die Krankheit genau beschreiben. Das ist ganz normal. Denn so geht es uns auch. Wir bitten
Gott um alles Mögliche. Aber vollkommen überzeugt davon, dass
Gott hilft, sind wir oft nicht. Wir hoffen es. Niemand ist so wie Jesus
vom Glauben erfüllt, dass kein Zweifel mehr in ihm bleibt. Jesus
hat diesen Glauben, so dass er sagt: "Alle Dinge sind möglich
dem, der glaubt." Es ist hoch her gegangen in der Geschichte. Am Ende ist Ruhe eingekehrt. Der Streit hat sich gelegt. Die Jünger haben erfahren, worauf es ankommt: Nicht auf sie, sondern auf die Kraft Gottes, der Menschen sich öffnen oder der sie sich verschließen können. Der Streit in unserem Land wird weiter gehen auch nach
dem heutigen Abend, da bin ich sicher. Manchmal packt uns da auch der
Unglaube, und wir sagen: "Ich kann doch nichts machen." Oder:
"Ich weiß gar nicht, wen ich wählen soll. Sie sind doch
alle gleich." Sie sind nicht alle gleich. Wir müssen nur genau
hinschauen, uns die Personen ansehen und hören, was sie ankündigen.
Da gibt es schon Unterschiede. Wir als Christen, als Gemeinde und als Kirche können
dazu beitragen, indem wir wie der Vater in der Geschichte sagen: "Ich
glaube, hilf meinem Unglauben." Ich glaube an eine bessere Gerechtigkeit
als die, die wir zur Zeit haben. Ich glaube, dass diese auch machbar ist,
wenn wir Menschen nur wollen. Ich glaube, dass unser Land genug Reichtümer
hat, so dass alle Kinder einen Hort- oder Kindergartenplatz bekommen,
zur Schule gehen und eine weiter führende Ausbildung machen können,
ohne dass die Eltern etwas dafür bezahlen müssen. Ich glaube,
dass Arbeit für alle da ist und auch bezahlbar ist, wenn der Staat
seine Verantwortung ordentlich wahrnimmt. Ich glaube, dass wir unseren
Energiebedarf ohne Atomkraft decken können. Es ist alles nur eine
Frage des gemeinsamen Wollens. |