Das ist die Losung dieses Jahres. Diesen Vers bekommen
Sie heute als Gedenkspruch an Ihre goldene, diamantene oder eiserne Konfirmation.
Damals bei der Konfirmation haben Sie den Konfirmationsspruch mit auf
Ihren Weg bekommen. Manche haben ihn sich gemerkt. Anderen ist der Spruch
verloren gegangen. Wieder andere haben gar keinen persönlichen Spruch
erhalten und erst recht keine Urkunde. Das sind einige von denen, die
heute ihre diamantene Konfirmation feiern, das sechzigjährige Jubiläum.
Sie sind 1945 konfirmiert worden kurz vor Ende des Krieges. Da ging alles
drunter und drüber. Die Konfirmation hat eher so nebenbei statt gefunden,
auf der Flucht oder dort, wo Sie als Schüler oder Schülerin
evakuiert waren. Eingeprägt haben sich mehr die äußeren
Umstände als die Segenshandlung. Es ist gut, sich hier und heute
noch einmal in Ruhe und Frieden zu erinnern an das, was die Konfirmation
bedeutet.
Sie ist eine Stärkung im Glauben, eine Zusicherung: Gott ist bei
dir auf allen deinen Wegen. Mit dem Spruch, den Sie heute als Denkspruch
mitbekommen, wird uns versichert: Wir haben einen Fürsprecher, einen
Fürbeter. Es ist Jesus selbst, der für uns bittet, dass unser
Glaube nicht aufhören möge.
Ursprünglich, wir haben es in der Lesung gehört, hat Jesus dieses
Wort an Simon Petrus gerichtet. Anders als das, was die katholische Kirche
aus diesem Petrus gemacht hat, glaube ich: Er war nicht der erste Papst,
sondern ein ganz normaler Mensch. Die Evangelien berichten so ausführlich
von ihm, weil er beispielhaft ist für alle Jünger und Jüngerinnen.
Petrus war nicht der Fels in der Brandung, als der er gern hingestellt
wird. Er war ängstlich wie die meisten von uns. Wenn Jesus nicht
zur Stelle gewesen wäre, dann wäre Petrus in der Gefahr unter
gegangen. Als es drauf ankam, hat Petrus seinen geliebten Herrn und Meister
verleugnet. Dreimal hat er behauptet, ihn gar nicht zu kennen. Also wahrlich
keine Lichtgestalt, dieser Petrus, sondern eher einer wie du und ich.
Weil er ein ganz normaler Jünger war, darum können wir Jesu
Wort an ihn auch auf uns beziehen.
Wir können uns gesagt sein lassen, dass Jesus auch für uns betet
um Stärkung unseres Glaubens.
Solche Stärkung haben Sie erfahren in Ihrem bisherigen
Leben. Ich vermute, sonst säßen Sie nicht hier. Sie haben Zeiten
großer Unsicherheit erlebt. Da lag alles in Schutt und Asche. Zerstört
war auch der Glaube der Menschen. Was die Führer dieses Landes dem
Volk zwölf Jahre lang als ewige Wahrheiten verkündet haben,
hatte sich als Lüge erwiesen. Beschämt mussten die Menschen
feststellen, dass sie einer Verbrecherbande gefolgt waren und deren Lügen
nur allzu willig geglaubt hatten.
Was Sie, die Jubilare, alle verbindet: Sie können nichts dafür.
Sie sind Kinder gewesen. Die einen, 1926 oder 1930/31 geboren, haben die
Hitlerzeit als Kinder erlebt, die anderen, 1940/41 geboren, haben als
Kleinkinder den Krieg überstanden. Sie tragen keine Verantwortung
für die Verbrechen der Hitlerzeit. Sie mussten aber das damals Erlebte
hinterher ausbaden.
Viele von Ihnen, so vermute ich, haben keine behütete Kindheit gehabt.
Der Vater war nicht da. Die Mutter war vollauf damit beschäftigt,
sich selbst und die Kinder irgendwie durchzubringen. Unbeschwerte Zeit
füreinander gab es nicht. Auch nicht nach dem Krieg. Da ging es erst
einmal ums Überleben. Die Grundnahrungsmittel waren knapp. Mit Hamsterfahrten
über Land mussten die Frauen das tägliche Brot heranschaffen.
Als genug davon da war, galt es, die zerstörten Städte wieder
aufzubauen.
In ganz Deutschland herrschte großer Wohnungsmangel: Ein Fünftel
der Häuser und Wohnungen war zerstört, fast ein weiteres Viertel
beschädigt. Um diese Wohnungsnot so schnell wie möglich zu beheben
und um für die zehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebene Unterkünfte
zu haben, förderte die Bundesregierung den Bau von Mietwohnungen.
Bis 1956 entstanden mehr als drei Millionen Wohnungen, meist Sozialwohnungen.
Nach dieser Phase des Wiederaufbaus verteilte der Staat auch gezielt Fördermittel
für den Bau von Eigenheimen. Zahlreiche Bundesbürger erfüllten
sich den Traum vom eigenen Haus im Grünen. Von 1955 an entstanden
in Westdeutschland jährlich etwa 150.000 Eigenheime.
Die Elterngeneration war mit dem Wiederaufbau des Landes beschäftigt,
die junge Generation weitgehend sich selbst überlassen.
1955, im Jahr, als die heutigen Goldkonfirmanden konfirmiert wurden, erschien
ein Film, der das Gefühl vieler Jugendlicher wiedergab: "Die
Saat der Gewalt." Am 28. Oktober 1955 kam der Film in die deutschen
Kinos. Die Sendung Zeitzeichen des Westdeutschen Rundfunks hat daran erinnert.
So bin ich darauf aufmerksam geworden. Der Film erzählte die Geschichte
eines jungen Lehrers, der sich mit Gewalt und kriminellen Tendenzen seiner
Schulklasse auseinander setzen musste. Musikalisch unterlegt war die Handlung
mit Bill Haley's "Rock around the Clock". Ein Mitarbeiter der
Plattenfirma erzählte in der Sendung, dass man getrost zehntausend
Platten in die Stadt schicken konnte, in deren Kinos der Film gezeigt
wurde. Die Scheibe wurde zu einem Hit, Rock´n roll zu einem Lebensgefühl
der jungen Generation, zur Erkennungsmelodie für eine aufbegehrende
Jugend.
Der Film wollte aufmerksam machen auf Gewalttätigkeiten in der Gesellschaft.
Die "Saat der Gewalt" sah er in der Sprachlosigkeit zwischen
den Jugendlichen und der Elterngeneration, die durch den Krieg geprägt
war und meist ihre eigene Jugend verloren hatte.
Auf störendes und unangepasstes Verhalten der Jugend wusste die Erwachsenen-Generation
meist auch nur mit Gewalt zu antworten. Im Konfirmandenunterricht genauso
wie in der Schulklasse passierte es noch häufig, dass der Lehrer
oder Pfarrer Ohrfeigen verteilte.
Es gab auch friedliche Ereignisse in dem Jahr, an das wir heute besonders
zurückdenken:
Das Goggomobil wird als neuer Kleinstwagentyp vorgestellt. Deutschland-West
beginnt, vom Motorrad auf das Auto umzusteigen.
Die erst dreizehnjährige Marika Kilius belegte mit ihrem Partner
Franz Nigel den ersten Platz im Eiskunstlaufen. Bei den Europameisterschaften
holten die beiden auf Anhieb Rang drei im Paarlauf. Seitdem gehörte
Kilius über Jahre zur europäischen Spitze.
Was mich als Essener besonders freut: Mit einem 4:3 Erfolg über den
hohen Favoriten 1. FC Kaiserslautern wurde Rot-Weiß Essen 1955 Deutscher
Fußballmeister. Helmut Rahn, Penny Islacker und Fritz Herkenrath
im Tor waren die Garanten des Erfolgs. Die Spielvereinigung Duisburg wurde
übrigens in diesem Jahr Tabellenachter in der Oberliga West, der
Meidericher Spielverein Vorletzter.
Das herausragende politische Ereignis des Jahres war die Moskaureise Konrad
Adenauers. Er konnte seinen sowjetischen Verhandlungspartnern die Rückführung
der letzten 10.000 Kriegsgefangenen abtrotzen.
Im Gegenzug wurde die Teilung Deutschlands fest zementiert.
Die Bundesrepublik und die DDR wurden souveräne Staaten. Die Zeit
des Kalten Krieges begann. Entgegen früher gemachten Äußerungen,
dass nie mehr ein Deutscher eine Kriegswaffe in die Hand nehmen soll,
errichtete die von Adenauer geführte CDU-Regierung die Bundeswehr.
In dieser Zeit, in der es zum ersten Mal anfing zu brodeln
in der jungen Bundesrepublik, sind die heutigen Goldjubilare konfirmiert
worden. Die 1930 und früher Geborenen waren inzwischen junge Erwachsene
und gründeten eine Familie.
Für die Goldkonfirmanden begann mit der Konfirmation der Weg ins
Erwachsenenleben. Die meisten gingen damals in die Volksschule. Das Schuljahr
endete vor den Osterferien. Das war Ende März. Am 1. April, so erzählte
einer, ging es sofort mit der Lehre weiter. Alle haben eine Lehrstelle
bekommen. Zu der Zeit wurden Arbeitskräfte dringend gebraucht.
Es war wohl über weite Strecken ein recht gutes Leben, das Sie nach
Ihrer Konfirmation führen konnten. Die äußeren Rahmenbedingungen
stimmten. Es gab Arbeit. Die Arbeit wurde ordentlich bezahlt. Da konnten
viele ein Häuschen bauen, in Urlaub fahren, sich die neuen Luxusgüter
leisten, wie Fernseher, Waschmaschine, Spülmaschine, Gefriertruhe
und natürlich auch ein Auto.
Es gab auch eine breite Übereinstimmung im Land in Bezug auf das,
was "soziale Marktwirtschaft" genannt wurde. Damit war gemeint,
dass der Staat und die Unternehmen auch eine soziale Aufgabe haben. Die
Marktwirtschaft gab und gibt den Unternehmern die Gelegenheit, Geld zu
verdienen. Gemeinsame Überzeugung war einmal, dass dies nicht der
einzige Sinn unternehmerischer Tätigkeit sein kann. Gesetzliche Regelungen
sorgten dafür, dass die Schwächeren geschützt wurden und
möglichst alle die Chance hatten, am gesellschaftlichen Reichtum
teilzuhaben. Es gab Gesetze, mit denen der Staat seiner Fürsorgepflicht
nachkam für Menschen, die krank wurden, die arbeitslos wurden, die,
weswegen auch immer, mit ihrem Leben nicht klar kamen. "Solidarpakt"
nannte sich das. Mit dem in dieser Gesellschaft erwirtschafteten Reichtum
wurden auch die Menschen unterstützt, die Hilfe nötig hatten.
Es gab Menschen an den Spitzen der Parteien, des Staates und der Unternehmen,
die von ihrer sozialen Verantwortung überzeugt waren. Weil die Bundesrepublik
Deutschland zu einem intakten demokratischen Sozialstaat herangewachsen
war, ließ es sich hier gut leben.
Ich bin sicher, die meisten von Ihnen können auf ein insgesamt recht
angenehmes Leben zurückblicken. Viel Schönes haben Sie erlebt
und hoffentlich auch noch vor sich.
Persönliche Schicksalsschläge hat es natürlich auch gegeben,
Krankheiten, den Tod von nahestehenden Menschen, vielleicht auch Brüche
im eigenen Leben. Je älter man wird, desto mehr bekommt man zu spüren,
dass Abschiede und Verluste zum Leben dazugehören.
Wir alle spüren heute, dass der Boden, auf dem wir
stehen, brüchig geworden ist. Viele Menschen in unserem Land blicken
mit Sorgen in die Zukunft. Es gibt keine gesellschaftliche Übereinstimmung
mehr über die grundlegenden Dinge in unserem Staat. Die Regierungen
der letzten zwanzig Jahre haben zusammen mit den führenden Unternehmen
den Solidarpakt einseitig aufgehoben. Die sozialen Errungenschaften verkünden
sie uns laufend als Luxus, den wir uns angeblich nicht mehr leisten können.
Dabei häufen die gut Gestellten und Mächtigen in unserem Land
unermessliche Reichtümer an, die Unternehmen machen sagenhafte Gewinne.
Weil die Reichen allen Reichtum an sich ziehen, verarmen immer mehr Menschen.
Viele, die jetzt noch ganz gut leben, machen sich berechtigte Sorgen:
Was wird aus mir, wenn ich alt und krank werde? Auf die Hilfe der Gesellschaft,
auf Solidarität und Mitmenschlichkeit kann sich heute niemand mehr
verlassen. "Hilf dir selbst", heißt das Motto, das uns
Politiker, Wirtschaftsverbände und Medien ständig vorhalten.
Wer sich selbst nicht helfen kann, der ist arm dran. Und es soll ja nach
allem, was man hört, noch schlimmer kommen.
Grund genug, sich Sorgen zu machen, Angst zu haben vor der Zukunft.
An dieser Stelle tut es gut, noch einmal auf die Jahreslosung
zu hören. "Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube
nicht aufhöre."
Im griechischen Urtext steht für "aufhören" das Wort:
"ekleipo". Das dazu gehörende Hauptwort heißt "Eklipse".
So nennen Astronomen die Sonnenfinsternis. Wo der Glaube aufhört,
da wird es dunkel im Leben.
Damit es nicht dunkel wird in unserem Leben, bittet Jesus
für uns. Aus diesem Versprechen Jesu wird deutlich: Niemand hat den
Glauben, wie Menschen es manchmal behaupten: "Ich habe meinen Glauben."
Den Glauben kann man nicht haben, den kann man auch nicht selber bei sich
herstellen. Der Glaube ist ein Geschenk. Jesus bittet für uns um
unseren Glauben. Und weil der Vater im Himmel seinen Sohn liebt, wird
er ihm die Bitte erfüllen. Gott schenkt uns den Glauben, weil Jesus
ihn darum bittet.
Das sollen wir uns einfach anhören und gesagt sein lassen. Dann sehen
wir das Leben und die Zukunft in einem anderen Licht, im Licht der guten
Möglichkeiten Gottes. Dann wissen wir, dass nichts und niemand uns
trennen kann von der Liebe Gottes, die in Jesus sichtbar geworden ist.
Und dann sind wir stark genug, andere zu stärken. Wie Jesus es dem
Petrus vorher gesagt hat: "Wenn du einst zurückgekehrt bist,
so stärke deine Brüder."
Jesus weiß, dass wir wie Petrus immer wieder scheitern, dass wir
immer wieder den Glauben verlieren. Er macht uns das nicht zum Vorwurf.
Sondern er tröstet und sagt uns: ´Ich stehe zu dir, auch wenn
du nicht zu mir stehst.` Er behält uns im Auge, auch wenn wir ihn
aus dem Auge verlieren. Er bleibt an unserer Seite, auch wenn wir meinen,
ganz allein dazustehen.
Wir haben einen Fürsprecher, einen Fürbeter. Er tröstet
und stärkt uns, damit wir einander stärken. Darauf kommt es
in der heutigen Zeit immer mehr an: Dass Menschen ihre Sorgen und Ängste
miteinander teilen, sich gegenseitig Mut machen, an eine gute Zukunft
zu glauben und auch dafür einzutreten.
Ich schließe mit einem Gedicht, das ich zur Jahreslosung gefunden
habe:
Da ist so viel, das uns den Glauben nehmen,
Vertrauen rauben kann und Zuversicht.
Auch führt uns Gott ja oft nicht den bequemen
Weg durch leichtes Glück ins Licht.
Es gibt zu leiden, manches zu bestehen,
schon wenn der Mensch das Leben lernt als Kind.
Das bleibt auch so auf allen Wegen, die wir gehen,
bis wir dann alt und manchmal einsam sind.
Auf unserm Weg, den Glauben festzuhalten,
dass hinter allem Dunkel, allem Leid,
ein guter Vater ist mit väterlichem Walten,
ist schwer genug in dieser trüben Zeit.
Doch ist auch Hilfe, Beistand an den Tagen,
an denen uns die Hoffnung schwinden will:
Durch Christi Liebe und Gebet getragen,
wird unser Herz voll Mut, getrost und still.
Das macht uns stark, in jeden neuen Tag zu treten,
und nicht zu zweifeln, dass Gott an uns denkt.
Versprochen hat sein Sohn, für uns zu beten,
dass er uns immer neuen Glauben schenkt.
(Manfred Günther)
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