A Es
geschehen noch Zeichen und Wunder: Unsere Kirche hat den Sport für
sich entdeckt, im Weltmeisterschaftsjahr natürlich den Fußball.
Bis jetzt hat sich unsere protestantische Kirche eher leibfeindlich gegeben.
Alles, was mit Spiel und Spaß zu tun hat, war ihr verdächtig.
Und nun das:
Auf der Internetseite der Evangelische Kirche in Deutschland findet sich
die Adresse: www.fangemeinde-ekd.de.
H Dort
gibt es alles, was das Fußballerherz begehrt: Den Spielplan der
WM, einen Fanshop - besonders schön darin das Damenshirt "Himmelsstürmerin".
Weiter finden sich bei der "fangemeinde" die Nationalhymnen
der beteiligten Länder zum Mitsingen,
natürlich auch ein Gewinnspiel und eine Menge Texte unter dem Stichwort
"Fußball&Gott".
A Bei
so viel Engagement für den Fußball will auch unsere rheinische
Kirche nicht zurückstehen. Unter dem Motto das "Das Tor zum
Himmel" fand eine Talkshow statt im Film-Funk- und Fernsehzentrum
in Düsseldorf.
He "Der
Faszination der Fußball-Weltmeisterschaft kann sich keiner entziehen",
sagte Valentin Schmidt, der Sportbeauftragte der Evangelischen Kirche
in Deutschland. Für ihn gibt es "kein Medium auf der Welt, das
Menschen so verbindet wie Fußball".
A Der
für seine Reportagen aus dem Nürnberger Stadion bekannte Kult-Reporter
Günther Koch meinte, die Kirche könne vor allem in Sachen Begeisterung
vom Fußball lernen.
H Carmen
Thomas, erste Sportmoderatorin des deutschen Fernsehens, hob die gesellschaftliche
Bedeutung des Mannschaftssports hervor: Menschen könnten lernen,
sich für andere einzusetzen, statt egoistisch nur für sich zu
leben.
A Am
Ende zog Präses Schneider einen weiten Bogen vom Fußballtor
zum Himmelstor, indem er sagte: Es gibt "noch ganz andere Tore, die
für das Leben wichtig sind. Das Tor zum Himmel ist geöffnet."
Gü Offenbar
sind plötzlich alle in unserem Land Fußballfans. Ich habe mich
bisher überhaupt nicht für Fußball interessiert.
In Duisburg kenne ich mich noch nicht gut aus, ich wohne noch nicht lange
hier. Einmal bin ich zufällig am Stadion vorbeigefahren. An mir vorbei
liefen Unmengen von Fahnen und Trikots. Ich wusste erst gar nicht, was
los war. Dann habe ich gedacht: Hier muss wohl heute ein Spiel sein.
Ge Mir
geht es ähnlich. Ich schalte selber nicht ein,
wenn ein Spiel im Fernsehen läuft. Aber wenn ich dann doch mal ein
Spiel mitkriege, weil meine Söhne gucken, dann kommt schon Spannung
auf.
Ho Zu
Oberliga-Zeiten bin ich oft ins Stadion gegangen zum DSV. Da spielten
Kollegen, die ich gekannt habe. Die haben ja noch ganz normal gearbeitet
und nach Feierabend trainiert.
Oft habe ich mit denen beim Bier zusammen gesessen.
Seit es die Bundesliga gibt, bin ich nur noch ganz selten im Stadion gewesen.
Was mich stört, sind die Unsummen, die ein Fußballer kassiert.
Die stehen in keinem Verhältnis zur Arbeit anderer Menschen.
Ge Da
hast du Recht. Ein-, zweimal am Tag trainieren die Fußballer, am
Wochenende haben sie ein Spiel. Im Durchschnitt streichen sie dafür
hundertmal mehr ein als ein Malocher auf der Hütte oder eine Krankenschwester.
Die Bestbezahlten kriegen mehrer Millionen im Jahr. Das ist doch nicht
in Ordnung.
Gü Und
dann sehen sie noch zu, wie sie das viele Geld an der Steuer vorbeischleusen.
Bestes Beispiel ist der WM-Organisator Franz Beckenbauer, der seinen Wohnsitz
in Österreich hat und vor Jahren wegen Steuerhinterziehungen in die
USA geflüchtet ist.
Ho Was
hinzukommt: Die Spieler kommen nicht mehr aus der Stadt, für deren
Verein sie spielen.
Die werden aus der ganzen Welt zusammen gekauft
und haben oft keinen Bezug zu dem Verein, der sie gekauft hat. Das sind
moderne Söldner, die dauernd von einem zum anderen Verein wechseln,
sobald der andere Verein ihnen mehr Geld bietet.
Ge Ich
finde, der bezahlte Fußball spiegelt unsere Gesellschaft wieder:
Genau wie in der Gesellschaft gibt es im Fußball eine Aufteilung
zwischen Arm und Reich, und die Kluft dazwischen wird immer größer.
Die kapitalistische Wirtschaftsordnung und die Gesetzgebung sorgen dafür,
dass eine stetige Umverteilung des Reichtums von unten nach oben stattfindet.
Das ist in der ganzen Gesellschaft so und im Fußball genauso.
A Bestes
Beispiel sind die beiden Mannschaften, die im Pokalfinale gestanden haben,
Eintracht Frankfurt und Bayern München. Vor vierzehn Jahren, 1992,
hatte die Eintracht einen Etat, der um vierzig Prozent niedriger war als
der Bayern-Etat. Heute beträgt der Abstand dreihundert Prozent. Jahr
für Jahr kaufen die Bayern und den anderen Vereinen die besten Spieler
weg.
He Und
trotzdem sind die Bundesliga-Stadien voll und jetzt bei der WM scharen
sich die Menschen um die Fernseher. Eine unglaubliche Massenbegeisterung
ist entstanden, die sogar die evangelische Kirche erreicht hat. Wie ist
das zu erklären?
Ge Ich
glaube, das hängt mit dem Prinzip zustande, das schon die alten Römer
kannten und angewendet haben: Gib dem Volk Brot und Spiele, dann ist es
ruhig. Je mieser die gesamte Lage ist, desto mehr brauchen die Menschen
etwas, das sie ablenkt, worauf sie ihre Gedanken, ihre Hoffnungen und
Sehnsüchte richten können.
Gü Die
Politik gibt wenig Anlass zu Hoffnungen. Glauben kannst du keinem mehr.
Nimm die beiden letzten Bundeskanzler als Beispiel. Der eine begeht offenen
Rechtsbruch und zeigt keinerlei Bereitschaft, den Anforderungen des Rechts
nachzukommen. Der andere sucht auf eine Weise den eigenen materiellen
Vorteil, die schlichtweg unanständig ist. Das sind doch keine Vorbilder
mehr.
He Vorbilder
liefert der Sport. Da sind Helden zu finden. Was fasziniert am Fußball,
ist, dass er voller Überraschungen und Wunder ist. Für viele
ist er eine Art Religion. Nimm als Beispiel den Song irgendeines Vereins.
Die Fans bilden gemeinsam einen großen Chor, vor jedem Heimspiel
singen sie dieses Lied (wird eingespielt):
Wenn die Erde sich mal nicht mehr dreht,
Werden wir gemeinsam weitergehen
VfL, mein Herz schlägt nur für Dich
Wir werden immer zu Dir stehen, VfL, mein VfL!
He Der Verein, das zeigt dieser Song deutlich, wird zum Gott. Was wir
Christen bei Gott suchen und finden, das übertragen die Fans auf
ihren Verein: "Du bist immer für uns da" - "mein Herz
schlägt nur für Dich" - "all die Jahre stehst Du da,
wie ein Fels so stark und fest". Genauso sprechen die Psalmen von
und mit Gott.
A Jedes
Bundesligaspiel, jedes Länderspiel folgt wie unser Gottesdienst einer
ganz bestimmten Liturgie. Im Grunde verbindet uns viel mit den Fans eines
Fußballvereins. In der Gemeinde wie bei den Fans geht es um Gemeinschaft.
He Christen
wie Fans bekennen ihren Glauben, die Fans tun das nur viel lautstärker
als wir Christen. Die Fans zeigen offen, wofür sie einstehen, durch
ihre Kleidung und die Fahnen, die sie schwenken. Wir Christen sind eher
unauffällig und auch längst nicht mit der Leidenschaft bei der
Sache wie die wahren Fans. Die weinen, wenn ihr Verein verliert, und fallen
sich gegenseitig um den Hals, wenn ihr Club ein Tor schießt. Da
geht es bei uns viel ruhiger zu.
Ge Trotzdem
finde ich: Die evangelische Kirche ist einer der besten Vereine auf der
Welt. In der Gemeinde gibt es nicht so viel Heuchelei, sondern hier herrschen
Ehrlichkeit, Freundschaft und wirkliche Nächstenliebe. Ich bin jedenfalls
froh, dass ich evangelisch bin.
Fürbitte
Guter Gott,
in diesen Tagen denken viele von uns an die Spiele der Weltmeisterschaft
und nehmen vor dem Bildschirm oder im Stadion daran teil. Sie genießen
die Spannung beim Zuschauen, die Begeisterung und das große Gemeinschaftserlebnis.
Gott, wir bitten dich: Hilf, dass die weltweite Übertragung der Spiele
Menschen auch weltweit verbindet; dass die sportlichen Begegnungen dazu
beitragen, Vorurteile und Feindschaften unter den Völkern zu überwinden
und ein Gefühl weltweiter Verantwortung füreinander entsteht.
Hilf du mit, dass es friedliche Wettkämpfe werden. Stärke und
ermutige alle, die verhindern, dass Gewalttäter die Spiele zu gewaltsamen
Aktionen außerhalb der Stadien missbrauchen.
In diesen Tagen feiern wir das hundertfünfzigjährige Bestehen
dieser Gemeinde. Du, Gott, hast sie treu geführt durch gute und schlechte
Zeiten, hast sie bewahrt und immer wieder in Menschen den Wunsch und die
Bereitschaft geweckt, sich in der Gemeinde zu engagieren.
Wir beten für alle, die in der Kirche tätig sind bei uns und
anderswo, dass sie eins und einig und mit Freude bei der Sache bleiben,
auch wenn die äußeren Bedingungen schlechter werden.
Wir beten für die jungen Menschen, dass sie Kontakt finden zu dir,
zu dem, was wichtig ist im Leben, und nicht mit sinnlosem und schädlichem
Treiben ihr Leben vertun.
Wir beten für die unter uns und in unserer Umgebung,
die Schweres vor sich haben. Sei du, Gott, ihnen ein Halt in allem, was
kommt, schenke Kraft und Zuversicht und den festen Glauben daran, dass
niemand tiefer fallen kann als in deine Hände.
Wir beten für die Menschen im nahen und mittleren
Osten, wo immer noch Krieg herrscht und das Blutvergießen kein Ende
nimmt. Wir wissen, Gott, es sind Menschen, die ständig neue Opfer
hervorbringen. Erweiche du die Herzen derer, die voller Hass sind, gefühllos
und kalt, dass sie aufhören, mit Gewalt immer neue Gewalt hervorzubringen.
Stärke und ermutige du alle, die sich für friedliche und gerechte
Verhältnisse auf der Erde einsetzen.
Mit den Worten aller Christen auf der ganzen Erde beten
wir gemeinsam:
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