Xaver Naidoo hat diese Zeilen gedichtet in der Nacht
nach dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Italien. Kurz vor
dem erhofften Einzug ins Finale hatten die Italiener den Traum vom vierten
Weltmeistertitel für Deutschland zunichte gemacht. Der Sänger
hat mit diesem Lied der ganzen Mannschaft ein musikalisches Dankeschön
ausgesprochen. Vor jedem Spiel hat sein Lied "dieser Weg" die
Spieler motiviert, das Beste aus sich herauszuholen.
Der Einsatz, den die Mannschaft zeigte, schwappte über auf das Publikum.
Die Begeisterung von den Rängen wiederum spornte die Spieler zu begeisternden
Auftritten an. So wurde die Fußball-Weltmeister-schaft im vergangenen
Sommer zu einem großen rauschenden Fest. Unser Land zeigte ein so
noch nicht dagewesenes freundliches, fröhliches Gesicht. Viele Menschen,
auch solche, die bisher mit Fußball nicht viel zu tun hatten, ließen
sich anstecken von der fröhlichen und friedlichen Stimmung. Das Wetter
tat das Übrige dazu.
Am Nikolaustag, als Weihnachtsgeschenk sozusagen, zeigte das Fernsehen
den Film von der WM. "Deutschland - ein Sommermärchen",
so heißt der Titel. Es war tatsächlich eine märchenhaft
schöne Zeit. Sönke Wortmann, der Filmemacher, vergleicht in
seinem Tagebuch den Jubel nach der gewonnen WM 1954 und den nach dieser
WM: "1954 hatte eine deutsche Nationalmannschaft der jungen Bundesrepublik
ein erstes Selbstwertgefühl gegeben. 2006 half eine deutsche Nationalmannschaft
dem land, sich selbst zu mögen."
In der Tat war es so: Man sah Fahnen an Häusern und Autos in bisher
nie gekannter Zahl. Überall flatterte ein buntes Stück Stoff
im Wind. Kein neu erwachtes Gefühl von nationaler Größe
und Überheblichkeit machte sich hier breit, sondern schlichte, einfache
Freude und das Bedürfnis, dabei zu sein, die Freude zu zeigen.
Warum erzähle ich das? Es ist für mich ein anschauliches Beispiel
für das, was Jesus meint:
"Und die Jünger des Johannes und die Pharisäer
fasteten viel; und es kamen einige, die sprachen zu ihm: Warum fasten
die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer, und
deine Jünger fasten nicht? Da sprach Jesus zu ihnen: Wie können
die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen
ist? Solange der Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten."
Es gibt, so verstehe ich die Antwort Jesu, eine Zeit
der Freude. Und da sollen Menschen sich auch freuen dürfen, uneingeschränkt
und ohne schlechtes Gewissen. Eine solche Zeit der Freude hat unser Land
erlebt im vergangene Jahr, viele Menschen haben diese Zeit genossen. Und
ich gestehe: Ich selbst habe noch nie mit einer solchen Begeisterung die
Spiele einer deutschen Nationalmannschaft verfolgt. Der Sieg im Spiel
um den dritten Platz und die ausgelassen feiernden Menschen hat auch in
mir ein inneres Hochgefühl entsehen lassen.
Es gibt eine Zeit, da ist feiern erlaubt. Das habe ich auch bei dem hinter
uns liegenden Weihnachtsfest gedacht. Offenbar hatten viele Menschen das
Bedürfnis, dieses Fest in Gemeinschaft zu feiern. Noch nie seit ich
hier in der Gemeinde bin, habe ich die Kirche so voll erlebt, wie am vergangenen
Heiligabend. Eine Presbyterin erzählte nach dem Gottesdienst, was
ihr aufgefallen war: Die Gesichter der Menschen, die sie noch nie so offen
und fröhlich erlebt hatte.
Es gibt eine Zeit, da dürfen wir uns einfach nur freuen. Ich finde
es besonders für uns Protestanten wichtig, dass wir uns das einmal
sagen lassen. Denn wir neigen dazu, das Leben schwer zu nehmen und selbst
in frohen Momenten das Unglück nicht aus dem Auge zu verlieren. Mir
selber geht es jedenfalls oft so.
Es besteht ja auch reichlich Grund, sich tiefe Sorgen zu machen. Eine
ehemalige Presbyterin sagte bei einer Geburtstagsfeier in der vergangene
Woche: "Wenn ich die Zeitung ansehe, dann bin ich schon bedient.
Es sind nur schlechte Nachrichten, die einem schon auf der ersten Seite
ins Auge springen." Dass zum Beispiel der Giftmüll aus Australien
über die Weltmeere hierher nach Deutschland geschifft wird, um hier
verbrannt zu werden, das empfand sie als eine besonders skandalöse
Nachricht an dem Morgen, als wir uns trafen.
Nachrichten, die einem die Freude am Leben verderben, die einem den Glauben
und die Hoffnung rauben, die gibt es zuhauf. Ich selber merke, dass ich
manchmal bei den Tagesthemen am Abend müde werde von den vielen schlechten
Nachrichten und einfach abschalte, weil ich das Gezänk der Menschen
und das Unheil, das sie verbreiten, nicht mehr hören und sehen kann.
Dazu kommt, dass es auch in unserem nächsten Umkreis viel Leid gibt.
Gründe, das Leben schwer zu nehmen, sind genug vorhanden. Denn es
geschieht so viel, was das Leben wirklich schwer macht.
Gründe genug gibt es also zu fasten, Buße zu tun, Gott um sein
Erbarmen zu bitten und innere Einkehr zu halten.
Zur Zeit Jesu war es bei manchen Frommen Sitte geworden,
zweimal wöchentlich zu fasten. Im Judentum war das Fasten als Ausdruck
der Buße und Trauer ursprünglich nur einmal im Jahr Pflicht:
am großen Versöhnungstag. Die Frommen, die es in vieler Hinsicht
besonders genau nehmen, hatten daraus eine wöchentliche Pflicht gemacht.
Sie verzichteten auf Essen und Trinken als Sühne für eigene
oder fremde Sünden. Die Jünger des Johannes schlossen sich dieser
Praxis an. Nun wird Jesus gefragt, warum seine Jünger das nicht tun.
Jesus selbst hat es ihnen nicht vorgelebt, im Gegenteil. Er lebte von
der Hand in den Mund. An manchen Tagen werden er und die Jünger nicht
viel gegessen haben, einfach weil sie nicht viel hatten. Sie waren auf
Wanderschaft und angewiesen darauf, dass jemand sie einlud. Und wenn das
jemand tat, dann ließen sie es sich schmecken, das Essen und auch
die Getränke. Einmal wird Jesus als "Fresser und Weinsäufer"
beschimpft. Offenbar war er auch einem guten Tropfen gegenüber nicht
abgeneigt.
Jesus sah das Leben als ein Fest an. Die Hochzeit gebraucht
er als Bild für die Einheit des Lebens, für die Verbindung von
Himmel und Erde. Er selbst war es, der durch seine Person diese Verbindung
herstellte. Er, ein Mensch wie wir, war der Gesandte Gottes. Von Gott
auserwählt, ihn, Gott selbst, noch einmal neu unter den Menschen
bekannt zu machen. In dem Menschen Jesus von Nazareth kam Gott zu den
Menschen. Und wenn Gott bei den Menschen ist, dann ist Heilsfreude angesagt,
nicht Sündentrauer. Dann darf gefeiert werden. Das Fasten darf man
getrost denen überlassen, die alles besonders gut machen und Gott
mit guten Werken gnädig stimmen wollen.
In Jesu Nähe brauchte niemand Gott gnädig zu stimmen. Seine
Gnade war schon da, zum Greifen nah. Sie zeigte sich in dem, was Jesus
tat, wie er Menschen ansah, anrührte und ermutigte. "Steh auf
und geh". Am Anfang seines zweiten Kapitels erzählt der Evangelist
die Geschichte, in der Jesus einem Gelähmten verhilft, wieder auf
eigenen Füßen zu stehen. Unmittelbar darauf folgt die Geschichte
vom Mahl Jesu mit Zöllnern und Sündern.
Durch sein Dasein, sein Reden und Handeln hat Jesus andere Menschen Heil
erfahren lassen. Er verbreite um sich ein grenzenloses Vertrauen in die
Kraft und die Güte Gottes. Er steckte andere Menschen an mit seiner
Hoffnung, dass im Vertrauen auf Gott alle Dinge möglich sind. Wo
jemand seine Hilfe suchte, ließ er sich durch nichts und niemanden
abhalten, Hilfe zu leisten und die Not des Menschen zu wenden. So erfuhren
Menschen durch ihn die Liebe Gottes.
Wo diese zum Greifen nahe ist, da darf gefeiert, gesungen, getanzt und
gelacht werden. "Solange der Bräutigam da ist, kann niemand
fasten."
Aber nun ist Jesus, der Bräutigam, schon lange nicht
mehr auf der Erde. Da liegt es nahe zu fragen: Ist mit seinem gewaltsamen
Tod der Alltag eingetreten nach der Hoch-Zeit seines Daseins? Oder können
wir heute immer noch von einer Heilszeit sprechen, weil Jesus mit seinem
Geist weiter unter uns ist?
Beides ist wahr. Es ist Alltag, Zeit, in der alles seinen Gang geht, meistens
ziemlich gottlos. Die schlechten Nachrichten hören nie auf. Am Freitag
konnten wir lesen von der Ankündigung des amerikanischen Präsidenten,
den Krieg im Irak zu verschärfen. Offenbar treibt er sein Land und
die ganze Welt in ein zweites Vietnam. Auch wenn er seine Reden mit frommen
Floskeln schmückt, seine Politik ist gottlos, ist gegen Gott und
die Menschheit gerichtet. In einer gottlosen Zeit leben wir, das kann
man wohl verallgemeinernd sagen.
Das zeigt sich nicht nur in dem, was die Medien uns berichten. Das zeigt
sich auch in dem, was wir selbst tagtäglich erleben. Unter Jugendlichen
ist das Chatten groß in Mode. Dabei begibt man sich mit dem Computer
in einen unsichtbaren Raum. Dort trifft man andere Menschen, die irgendwo
an ihrem PC sitzen und Sätze in diesen virtuellen Raum stellen, die
man an seinem eigenen Computer lesen kann. Es werden oft ziemlich unsinnige
und vor allem unvollständige Sätze geschrieben in einer Sprache,
die man als nicht Eingeweihter kaum versteht. Doch wenn man selbst etwas
von sich preisgibt und vernünftige Fragen stellt, gibt es manchmal
auch vernünftige Antworten.
In den Ferien hat meine Tochter sich auch einmal in einen solchen Chat
begeben. Auf meine Bitte hin schrieb sie die Frage: "Gehst du in
die Kirche?" Die Kommentare lauteten: "Was ist das denn für
eine blöde Frage?" "Was bist du für eine?"
Ich fand bestätigt, was ich vermutet habe: Kirche liegt außerhalb
des Lebensbereichs vieler Menschen. Sie kommt in ihrem Denken nicht vor.
Schon die Frage danach erscheint als vollkommen unsinnig.
Im Kleinen wie im Großen finde ich viele Bestätigungen für
meinen Eindruck: Wir leben in einer gottlosen, gottfernen Welt. Nicht
weil Gott uns fern ist und uns Menschen los sein will. Sondern weil wir
Menschen uns von ihm fernhalten und unser Leben ohne ihn gestalten.
Aber auch das andere stimmt: Wir leben in einer Heilszeit, in einer von
Gottes Geist erfüllten Zeit.
Das Kirchenjahr hilft uns, dieses nachzuempfinden. Es lässt uns beides
erleben: Die gottferne Zeit in den Wochen vor Ostern, in der Passionszeit.
Und die Gott nahe Zeit, die wir an den hohen Festtagen erleben. Zu Weihnachten
haben wir Gottes Nähe, sein Kommen zu uns gefeiert. Jetzt ist Epiphaniaszeit.
Das Epiphaniasfest ist das älteste nichtjüdische Fest und zugleich
das erste Fest der Christenheit, welches kalendarisch festgelegt wurde.
Orthodoxe Kirchen feiern bis heute am 6. Januar ihr Weihnachtsfest.
Zu Weihnachten steht die Menschwerdung Gottes im Vordergrund, sein Angewiesensein
auf unsere Liebe und Fürsorge. Das Fest der Erscheinung betont, dass
dieses Kind nicht nur ein hilfloses Baby ist, sondern dass sich in ihm
der neugeborene König verbirgt, der mit Kraft und Vollmacht Gottes
Wirken auf der Erde anschaulich macht.
Die Weisen kommen, um ihn anzubeten, mit königlichen Geschenken erweisen
sie ihm Ehre als dem "neugeborenen König der Juden". Und
er selbst, Jesus, nimmt als erwachsesner Mann an einer Hochzeit teil und
verwandelt dort Wasser in Wein. Diese Geschichte ist das Evangelium des
heutigen Sonntags, die wie unser Predigttext betont: Jesu Dasein ist Heilszeit,
Zeit der Freude. Jetzt selbst setzt sich mit seiner ganzen von Gott gegebenen
Kraft dafür ein, dass Menschen froh werden.
Für uns als Christen ist also alle Jahre wieder
Jesu Kommen auf die Erde ein Wintermärchen, eine Zeit, in der wir
uns uneingeschränkt freuen dürfen. Jesus hat alle Menschen in
seiner Umgebung eingeladen, sich mit zu freuen. Auch und gerade die, die
eigentlich keinen Grund zur Freude hatten: die Armen, die Kranken, die
aus der Mitte der Gesellschaft Ausgeschlossenen.
Ich habe in der weihnachtlichen Freudenzeit durch den Tod zweier recht
junger Frauen wieder einmal miterlebt, wie schnell alles ganz anders werden
kann. Während am Freitag bei der Trauerfeier die Orgel spielte, kam
mir der Gedanke: Eigentlich ist jeder Tag, den wir bei wachem Bewusstsein
erleben, ein Freudentag, ein Tag, an dem wir die Güte Gottes sehen,
schmecken, fühlen und riechen können. Jeder Morgen, an dem wir
die Augen aufschlagen, haben wir Grund zu sagen: "Dies ist der Tag,
den Gott macht; lasst uns freuen und fröhlich darin sein."
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