"Dieser Weg wird kein leichter sein,
dieser Weg wird steinig und schwer".
Mit diesem Lied hat sich unsere Fußballnationalmannschaft während
des märchenhaften Sommers 2006 vor ihren Spielen Mut gemacht. Es
kam mir wieder in den Sinn als ich den heutigen Predigttext las. Auch
da geht es um einen Weg, den Weg Jesu nämlich. Der war auch kein
leichter. Das gleiche gilt für die Menschen, die Jesus nachfolgen
wollen. "Dieser Weg wird steinig und schwer".
Manfred Josuttis, ein bekannter Theologieprofessor, hat deutlich gemacht,
dass der Weg Jesu nicht unser Weg sein kann. Wie Jesus ihn gegangen ist,
so können wir ihn nicht nachgehen, vielleicht noch ehrlicher: so
wollen wir ihn nicht nachgehen.
Josuttis schreibt:
"Nur in Ausnahmefällen wird einer so leben wollen und können
wie Jesus selbst. Der hat einen radikalen Bruch mit Herkunft und Heimat
vollzogen und ist als Landstreicher durch die Dörfer gezogen. Es
gibt solche Streuner-Gestalten, die freiwillig oder unfreiwillig auf
der Straße gelandet sind. Wir leben nicht so. Aus vielen Gründen
nicht. Und es ist mir wichtig, dass wir uns das eingestehen, gerade wenn
wir als Christen Jesus nachfolgen wollen. An diesem Punkt folgen wir
ihm nicht. Wir leben anders.
Wir grenzen uns ab ihm gegenüber. Wir verweigern uns seinem Lockruf.
Alle theologische Begriffsartistik, aller Hang zur frommen Illusion darf
diesen Unterschied nicht verwischen. Der Mann Jesus hat seine Art Leben
gelebt. Wir leben anders. Wir leben eigensinnig auch ihm gegenüber."
(Josuttis, Predigten zur Wirkungsgeschichte Jesu, S.158)
Wir könnten damit den Text zu den Akten legen und sagen: Jesu Zeit
ist nicht unsere Zeit, sein Weg ist nicht unser Weg. Aber so einfach möchte
ich es mir und uns nicht machen. Auch biblische Texte führen uns
manchmal auf einen Weg, der kein leichter ist.
Jesus ist nicht nur der liebe Heiland, der Tröster und Retter der
Welt, der Helfer in der Not. Er mutet uns auch manches zu.
Vielleicht entdecken wir auch etwas Ermutigendes in den Zumutungen Jesu.
Zunächst erhalten wir einen Einblick in die Anfänge der Jesusbewegung.
Folgt man Texten wie dem für heute vorgegebenen, so hat Jesus keine
Gemeinde gegründet, sondern eine Bewegung herumwandernder Charismatiker
ins Leben gerufen. Man spricht von "Wandercharismatikern", die
mit Jesus unterwegs waren und nach seinem Tod sein Werk weiterführten.
Jesus hat sie berufen wie früher Gott Propheten berufen hat. Die
Jünger waren im Grunde mehr als nur "Jünger", mehr
als nur Schüler ihres Meisters. Sie waren von ihm berufene und beauftragte
Geistträger, die in seinem Sinn handeln und in seinen Fußstapfen
gehen sollten.
Jünger und Jüngerinnen nahmen teil an der Außenseiterrolle
Jesu. Wer Jünger Jesu wurde, musste nicht nur bereit sein, seine
Heimatlosigkeit zu teilen. Er oder sie musste auch in geradezu anstößiger
Weise die Bindung zu Jesus über alle anderen Bindungen stellen.
Selbst die heilige Pflicht, den Vater zu begraben, wurde für einen
Jünger unwichtig, wenn es um die Nachfolge seines Herrn ging.
Jüngerinnen und Jünger hatten gleichzeitig teil an dem Charisma
Jesu, an seinem Auftrag und seiner Vollmacht. Sie bekamen von Jesus die
Gabe zu heilen und Dämonen auszutreiben. (Theisen/Merz, Der historische
Jesus, S. 199f)
Die von Jesus berufenen Jünger und Jüngerinnen waren also
eine besondere Gruppe. Sie führten ein Außenseiterdasein und
waren auf die Unterstützung durch die Gemeinden angewiesen. Die Radikalität
der Wanderprediger war nur möglich, weil sie in den Ortsgemeinden
feste Anlaufstellen hatten, wo sie mit Nahrung versorgt wurden. (Theisen,
Die Soziologie der Jesusbewegung S. 26)
Der Weg Jesu und der ihm nachfolgenden Jünger war der Weg einzelner
Menschen. Er kann nicht der Weg aller werden, die an Jesus glauben.
Als Lukas sein Evangelium schrieb, hatten sich schon kleine Ortsgemeinden
mit zum Teil festen Strukturen gebildet. Es gab Gemeindeleiter, es gab
Presbyter, es gab Diakonie. Im Neuen Testament finden sich für diese
verschiedenen Dienste genaue Anweisungen.
Was will Lukas seiner Gemeinde mit den Worten sagen, in denen es um
den Ernst der Nachfolge geht? Dieser Text steht an einer Schnittstelle
in seinem Evangelium. Wenige Verse vorher berichtet Lukas, dass Jesus
sich aufmachte nach Jerusalem. Bis dahin ist er in Galiläa umher
gezogen, hat die Botschaft von dem nahe herbeigekommenen Reich Gottes
gepredigt und Menschen geheilt.
Wie die Geschichte von Jesu Geburt, so beginnt auch dieser neue Abschnitt
von Jesu Lebensweg mit den Worten: "Es begab sich". Die Zeit
war gekommen, sie war erfüllt, dass Jesus seine Mission auf der Erde
vollenden sollte. "Da wandte er sein Angesicht nach Jerusalem,
um dorthin zu wandern." (Vers 51)
Alles, was nun folgt, geschieht also auf dem Weg, auf der Wanderung Jesu
nach Jerusalem. So stellt Lukas die Geschichte Jesu dar: als einen schweren
und steinigen Weg.
Ich höre daraus erst einmal keinen Anspruch, sondern etwas sehr
Tröstliches: Seht, das alles hat Jesus auf sich genommen - für
uns.
Jesu Wohltat fassen viele Menschen zusammen, indem sie sagen: Er ist
für uns gestorben. Die Evangelien erzählen uns Geschichten
von Jesus, um uns zu zeigen: Er hat für uns gelebt. In Jesu Weg zeigt
sich Gottes Liebe zu uns Menschen. Die muss schon sehr groß sein,
dass er seinen Sohn diesen beschwerlichen Weg gehen ließ.
Das zweite, was ich höre, ist eine Entlastung. Es gab und gibt immer
Menschen, die sagen: So wie Jesus will ich auch leben. Ich will ungebunden
sein, heute hier, morgen dort. Nichts und niemand soll mich abhalten,
meinem Herrn zu folgen. Diesen Menschen, die sich voller Begeisterung
mit Jesus auf den Weg machen wollen, rät der Evangelist: Überleg
genau, worauf du dich einlässt. "Die Vögel haben Nester,
aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege."
Lukas warnt davor, sich selbst zu überfordern. So ein Leben ohne
festen Wohnsitz ist nichts für jeden. Das können nur einzelne
Menschen auf sich nehmen.
Ein Leben mit ständigem Unterwegssein verlangen heute die Unternehmen
von ihren Mitarbeitenden. Flexibel und mobil müssen die Mitarbeitenden
sein. Das ist ein Grund für die heute viel beklagte Kinderlosigkeit
unserer Gesellschaft. Kinder passen nicht oder nur sehr schlecht in ein
Leben, das ständig auf Achse ist. Und viele, die dauernd unterwegs
sein müssen, leiden darunter. Beziehungen nur an Wochenenden pflegen
zu können, ständig in fremden Betten schlafen zu müssen,
das zehrt an den Nerven und an den Kräften.
Unserer Gesellschaft müsste man heute gerade das Gegenteil von dem
predigen, was Jesus gelebt hat. Heute müsste man sagen: Menschen,
werdet sesshaft, schlagt Wurzeln, lasst euch ein auf den Stadtteil, in
dem ihr wohnt, nehmt teil an dem Leben vor Ort, gestaltet es mit, helft
mit, dass eure Umgebung wohnlich ist und bleibt. Achtet auch auf die Menschen
in eurer Umgebung.
Das dritte, was ich höre, ist dann tatsächlich auch eine Mahnung
und Aufforderung an die Gemeinden: Werdet nicht träge mit eurem
Glauben. Richtet euch nicht allzu behaglich in eurer kleinen Gemeinschaft
ein. Bleibt aufmerksam für das, was um euch her geschieht.
"Gesegnete Unruhe", so unterschreibt ein älterer Kollege
aus Duisburg seine Briefe an Freunde. Das können wir als Gemeinde
uns sagen lassen. Wir sollen unruhig bleiben, wo wir Unrecht wahrnehmen,
uns damit nicht abfinden, sondern die Unruhe zum Segen werden lassen,
indem wir sie nach außen tragen, hörbar machen, andere Menschen
damit anstiften.
Ich meine, zur Zeit wäre eine große Unruhe in unserem Land
nötig, um die Verantwortlichen zu zwingen, dass sie ihre Arbeit zum
Wohl der Bürger und Bürgerinnen machen. Viel zu viele haben
sich auf ihren Posten wohnlich eingerichtet und sind nur noch damit beschäftigt,
sich den Posten zu erhalten.
Um des Reiches Gottes willen, um der Gerechtigkeit willen müssen
wir Menschen manchmal Gewohntes aufgeben und hinter uns lassen.
"Gesegnete Unruhe", das können wir uns gesagt sein lassen,
die wir als Gemeinde leben, unseren festen Wohnsitz haben und auch so
den Spuren Jesu folgen wollen.
Auch die zweite Zumutung in dem Abschnitt des Lukas-Evangeliums ist
nichts für jeden. Einer, dessen Vater gestorben ist, bekommt zu hören:
"Lass die Toten ihre Toten begraben."
Genau das tun heute viele Menschen in unserer Gesellschaft. Sie übergeben
alles dem Beerdigungsunternehmer und kümmern sich dann um nichts
mehr. "Hundebeerdigung" nennt das unser örtlicher Bestatter,
wobei Hunde oft würdevoller begraben werden. Er bekommt recht viele
von solchen Aufträgen, die darauf hinauslaufen, die Leiche des Verstorbenen
möglichst billig zu entsorgen.
Leute, die besonders zynisch sind, begründen ihr pietätloses
Verhalten noch mit dem Satz Jesu: "Der hat doch schließlich
gesagt: Lass die Toten ihre Toten begraben."
Viele Menschen beklagen heute, dass die Trauerkultur in unserer Gesellschaft
verloren geht. Früher stand bei einem Trauerfall alles still. Angehörigen,
Nachbarn, Freunde erwiesen dem Verstorbenen die letzte Ehre, nahmen sich
Zeit, Abschied zu nehmen, und kümmerten sich um die Familie. Heute
muss sich alles nach den Dienst- und Urlaubsplänen richten. Man kann
höchstens für den Beerdigungstag mal kurz die Arbeit unterbrechen.
Die rasante Beschleunigung des Lebens in unserer Gesellschaft hat dazu
geführt, dass für Abschiednehmen und Trauer oft keine Zeit
mehr bleibt.
Unserer Gesellschaft müsste man wiederum genau das Gegenteil von
dem sagen, was Jesus von dem Menschen fordert, den er in seine Nachfolge
ruft. Heute müsste man die Menschen auffordern: Nehmt euch Zeit,
Abschied zu nehmen. Nehmt euch Zeit zu trauern. Trauer braucht ihre Zeit.
Allerdings müssen Menschen aufpassen, dass sie in der Trauer nicht
stecken bleiben und die Trauer nicht zu einem neuen Kult wird. Jeden Tag
zum Friedhof gehen, das Zimmer des Verstorbenen zu einem Museum machen,
das kann auch nicht gut sein.
Diese Mahnung höre ich aus dem Satz, dass die Toten ihre Toten begraben
sollen. Diesem Satz folgt ja noch ein zweiter: "Du aber geh hin und
verkündige das Reich Gottes." Das Reich Gottes hat es mit dem
Leben zu tun. Das Reich Gottes ist Leben, gutes, erfülltes Leben.
Zum Leben gehört der Tod, gehören Abschied und Trauer. Auch
diese Phasen müssen gelebt werden. Aber zum Leben gehört vor
allem das Leben. Daran mitzuwirken, dass alle ein gutes Leben führen
können, dazu sind auch wir als Gemeinde aufgerufen.
Der dritte Satz Jesu, den Lukas wiedergibt in dem Abschnitt "Vom
Ernst der Nachfolge", verbietet den Jüngern zurückzusehen:
"Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist
nicht geschickt zum Reich Gottes.
Wieder stelle ich wieder fest: Genau das geschieht heute in unserer Gesellschaft.
Alles muss ständig neu und anders werden. Stillstand ist Rückschritt.
Und sich an dem orientieren, was bisher gegolten hat, das geht schon gar
nicht, das zeugt von Phantasielosigkeit und mangelndem Mut zum Aufbruch.
Auch in der Kirche sollen wir dauernd den neuen Wegen vertrauen, auf
die Gott uns angeblich führt.
Als Kirche sind wir Verwalterin uralter Schriften und Traditionen. Indem
wir uns mit Texten befassen wie dem heutigen Evangeliumstext, blicken
wir zurück. Wir blicken zurück in die Zeit Jesu, in die Zeit
der ersten Gemeinden und hoffen, dass uns dabei ein Licht aufgeht. Die
alten Texte trösten und ermutigen uns, sie stärken uns in unserem
Glauben und in unserer Hoffnung. Aus dem Rückblick gewinnen wir
Kraft, nach vorne zu schauen.
Viele Menschen sehen im Moment mit großer Sorge in die Zukunft.
Bei allem, was in der Welt und auch in unserem Land geschieht, besteht
dazu auch viel Anlass. Als Christen haben wir Grund, trotz allem mit
Hoffnung nach vorn zu schauen. Denn vor uns ist das Reich Gottes. Darauf
leben wir zu.
Der Weg, auf den Jesus uns weist, ist ein schwerer und steiniger. Es ist
schwer, in der heutigen Zeit, nicht zynisch zu werden, nicht hoffnungslos
zu werden. Es ist schwer, trotz allem, was dagegen spricht, zu glauben:
Gott hält die Welt in seiner Hand. Er führt uns auf unseren
Wegen und wird am Ende alles zum Guten fügen.
Es ist schwer, dies zu glauben. Es ist schwer, daran mitzuwirken, dass
hier und da etwas gut wird, dass hier und da eine Katastrophe verhindert
wird, dass hier und da ein Teil der Schöpfung geschont wird, dass
hier und da ein Stück mehr Gerechtigkeit durchgesetzt wird.
Gott gebe uns dazu seine Kraft und seinen Segen. Amen.
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