Haben wir Frieden mit Gott, oder ist dieser Frieden etwas, das wir gern
hätten und wonach wir suchen sollen?
Der Apostel Paulus schreibt: "Wir sind von Gott gerecht gesprochen
aufgrund des Glaubens. Deshalb haben wir Frieden mit Gott." So oder
ähnlich geben die meisten Bibelübersetzungen die Worte des Paulus
wieder. Im griechischen Urtext findet sich aber eine Schreibweise, die
ins Deutsche übersetzt so klingt: "Wir sind gerecht gesprochen,
deshalb hätten wir Frieden mit Gott, deshalb sollten wir mit Gott
Frieden haben oder wie die Bibel in gerechter Sprache schreibt: "So
lasst uns mit Gott Frieden halten."
Es gibt nicht nur verschiedene Bibelübersetzungen. Es gibt auch
von dem griechischen Text verschiedene Fassungen. Die meisten griechischen
Fassungen überliefern den Satz im Konjunktiv: "Wir hätten
Frieden mit Gott, wir könnten Frieden haben". Die meisten Bibelübersetzer
und Ausleger haben sich aber für die andere Schreibweise entscheiden.
Sie klingt ja auch schöner: "Wir haben Frieden mit Gott."
Im Griechischen ist da nur der kleine Unterschied zwischen dem langen
"O", dem Omega, und dem kurzen "O". Möglicherweise
ist durch einen Hörfehler beim Diktieren aus dem kurzen ein langes
"O" geworden oder umgekehrt, so erklären Bibelwissenschaftler
die unterschiedliche Überlieferung.
Ich habe jetzt ein bisschen aus dem Studium geplaudert. Denn da lernt
man, biblische Texte kritisch zu betrachten. Ich habe das erzählt,
weil ich die unterschiedliche Lesart an dieser Stelle bezeichnend finde.
"Wir haben Frieden mit Gott." Das wird in der Kirche gern behauptet.
Doch wer kann das ehrlichen Herzens von sich sagen? Wer von uns hat seinen
Frieden mit Gott? Wer hadert nicht manchmal? Wer zweifelt nicht manchmal?
Wer verliert nicht schon mal den Boden unter den Füßen, weil
ihm der Glaube, das Vertrauen und die Hoffnung abhanden gekommen sind?
Wer ist deshalb nicht schon mal verzweifelt, ganz und gar ohne Frieden
mit Gott und mit sich selbst?
Wenn wir bedenken, was wir an Nachrichten in der vergangenen Woche gehört
haben, müssen wir feststellen: Frieden mit Gott - davon sind auch
die Kirchen weit entfernt. Beide, katholische und evangelische Kirche
beherrschten die Nachrichten mit negativen Schlagzeilen. Wobei ich da
deutlich unterscheide. Auf katholischer Seite sind Verbrechen geschehen.
Furchtbare Verbrechen an Kindern.
Was unsere evangelische Kirchenfrau getan hat, ist dermaßen aufgebauscht
worden, als wäre es ein Verbrechen. Es war aber keins. Es war ein
persönliches Fehlverhalten, ein Straftatbestand, keine Frage. Mit
ihrem Verhalten hat sie sich selbst und andere Menschen gefährdet.
Aber zum Glück ist nichts passiert. Deshalb kann man zu Recht sagen
kann: Es gibt Schlimmeres.
(Den folgenden Abschnitt habe ich aus der mündlich vorgetragenen
Predigt gestrichen.
Der gewaltige Aufruhr in den Medien, der sich schnell auf die führenden
Kirchenleute übertragen hat, steht in keinem Verhältnis zu
dem Vergehen von Margot Käßmann. Es war eine Riesendummheit,
die man ihr nicht zugetraut hätte, vielleicht auch eine Selbstüberschätzung
oder schlichter Leichtsinn. Jedenfalls nicht so schwerwiegend, dass sie
notwendiger Weise ihre Ämter niederlegen musste.
Sie hat es getan, weil es ihre Art ist, sich wie Martin Luther hinzustellen
und zusagen: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders". Da ihr
Ansehen schon seit der Kritik am Afghanistan-Krieg Schaden genommen hatte,
sah sie nun für sich keinen anderen Ausweg mehr. Schade für
sie selbst, schade für unsere Kirche.)
Wie dem auch sei, der Aufruhr um ihr Vergehen und ihre Person zeigt:
Von wirklichem Frieden mit Gott sind wir auch in unserer evangelischen
Kirche weit entfernt.
Darum finde ich, dass die andere, von fast allen Bibelübersetzungen
übergangene Schreibweise unserer Wirklichkeit näher ist. "Wir
sind von Gott gerecht gesprochen, deshalb könnten wir Frieden haben
mit Gott, deshalb sollen wir Frieden mit Gott halten." Den Frieden
mit Gott zu suchen, das ist unsere Aufgabe.
Es ist ein steiniger Weg dahin. Wirklich am Ziel, so vermute ich, sind
wir, solange wir leben, nie. Paulus spricht von einem Dreischritt. Den
müssen wir, solange wir leben, immer wieder gehen. Der Dreischritt
geht so:
"Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt,
Geduld aber Bewährung,
Bewährung aber Hoffnung".
Geduld - Bewährung - Hoffnung, das ist der Dreischritt, dem sich
als vierter der Frieden anschließt: "Hoffnung aber lässt
nicht zuschanden werden". Hoffnung schafft die Gewissheit, getragen
zu sein, von der Liebe Gottes umgeben und erfüllt zu sein.
Es klingt wieder so einfach, doch muss man von dem einen zum anderen
Schritt erst einmal kommen.
Bedrängnis erfahren Menschen auf unterschiedlichste Weise.
Das kann eine Krankheit sein. Es kann der Tod eines geliebten Menschen
sein. Es kann ein Problem sein, das einen bedrängt. Eine Klassenarbeit
in einem Fach, das einem nicht liegt. Eine drohende Fünf auf dem
Zeugnis. Es kann die Arbeitslosigkeit sein, in die einer nach dreißig
treuen Dienstjahren in einer Firma plötzlich entlassen wird, der
sich dann auch noch das dumme Geschwätz des FDP-Vorsitzenden anhören
muss. Ich vermute, jede und jeder hier weiß, wie das ist, wenn einen
etwas bedrückt und belastet.
Da könnte man verzweifeln. Da hat man das Gefühl: Ich halt das
nicht mehr aus, ich kann nicht mehr. Da möchte man sich verkriechen,
nichts mehr fühlen. Da spürt man vielleicht auch eine große
Wut auf das, was einen so bedrückt und bedrängt.
Bedrängnis bringt Geduld, schreibt Paulus. Meine Erfahrung sagt:
Na ja, so einfach geht das nicht, schon gar nicht von selbst, gleichsam
automatisch, wie es hier klingt.
Leo Baeck ist einer, der große Bedrängnis erlitten hat, weil
er Jude war. Er schreibt: "Einer der eigentümlichen Züge
des jüdischen Wesens ist die Verbindung von Phantasie und Geduld.
Ob das Leben in der Bedrängnis innerlich durchgehalten wurde, hing
wesentlich davon ab, ob dieses beides in ihm lebendig blieb, die Geduld
und die Phantasie: die Geduld, diese Widerstandskraft, die die Fähigkeit
zu leben nicht aufhören lässt, und die Phantasie, die immer
wieder und trotz allem eine Zukunft zeigt. Vielleicht hört ein Mensch
erst auf, wenn er bloß die Vergangenheit und den Moment noch sieht.
Beides muss da sein. Die Geduld richtet sich auf durch die Phantasie,
und die Phantasie hat ihre Verbindung mit dem Leben des Tages durch die
Geduld, ohne sie wäre sie ein bloßer Traum". (Gerhard
Jankowski, die große Hoffnung, S. 119)
Also nicht hadern mit dem, was war und was ist, sondern sich ausmalen,
was sein könnte, sich vorstellen, was das Leben an Schönem noch
zu bieten hat - so kann Widerstandskraft wachsen, die durchhalten lässt
in Bedrängnis.
Die Phantasie ist auch eine Art innere Flucht aus dem, was einen bedrückt
und bedrängt. Sie schafft Abstand, lässt einen mit anderen Augen
sehen.
Innerlich Abstand nehmen von dem, was einen belastet. Das hilft, sich
ein wenig davon zu lösen.
Was auch immer hilft, sind andere Menschen, die das Leid mit einem teilen.
Wenn man aussprechen kann, was einen bedrängt, wird es einem schon
etwas leichter ums Herz.
Ich halte fest: Mit Phantasie, mit innerem Abstand, mit Hilfe von anderen
Menschen kann aus Bedrängnis Widerstandskraft wachsen. So ist das
Wort zu übersetzen, das in vielen Bibeln mit "Geduld"
wiedergegeben wird.
"Die Widerstandskraft wiederum stärkt die Erfahrung, dass wir
standhalten können. Die Erfahrung standzuhalten stärkt die
Hoffnung." Und die Hoffnung gibt einen festen Halt.
Paulus hat das an sich selbst so erfahren. Er kennt Bedrängnisse
zur Genüge. Ihm ist in allen Bedrängnissen die Kraft geschenkt
worden durchzustehen. Daraus ist seine unerschütterliche Hoffnung
erwachsen, dass Gott ihn jederzeit halten wird.
Dietrich Bonhoeffer hat diese Erfahrung ebenfalls gemacht. In seinem
Bekenntnis heißt es:
"Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft
geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste
alle Angst überwunden sein."
Margot Käßmann hat am Ende ihrer Rücktrittserklärung
gesagt: "Zuletzt: Ich weiß aus vorangegangenen Krisen: Du kannst
nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Für diese Glaubensüberzeugung
bin ich auch heute dankbar."
Aus einer Krise, die man durchgestanden hat, kann Widerstandskraft für
künftige Bedrängnisse wachsen und Hoffnung, gehalten zu sein,
was auch geschieht.
Paulus schreibt: "In unserer Hoffnung werden wir nicht enttäuscht.
Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen. Diese Gewissheit
gibt uns Gott durch seinen Heiligen Geist."
Wir sind von Gott geliebte Menschen. Gott schätzt uns wert, seine
Kinder zu sein. Weil das so ist, wird er uns nie und nimmer im Stich lassen.
Er wird uns beistehen in allem, was geschieht und was uns widerfährt.
In aller Bedrängnis wird er uns halten und hindurch tragen mit der
Kraft seines Heiligen Geistes.
Wenn wir dies glauben können, dann haben wir wirklich Frieden mit
Gott. Dann spüren wir, wie unser Herz fest und ruhig wird.
Aber das wird nie ein Dauerzustand sein. Deshalb, finde ich, sind beide
Schreibweisen richtig. Von Gott aus gesehen, haben wir Frieden mit Gott.
Er hat ja seine Liebe ausgegossen in unsere Herzen. Wir müssen diesen
Frieden immer wieder suchen, uns immer wieder neu der Liebe Gottes vergewissern.
Und der Friede Gottes,
der weit über alles Verstehen hinausreicht,
möge über unsere Gedanken wachen
und uns in unserem Innersten bewahren. Amen.
(Phil. 4,7 nach NGU)
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