Das Kreuz an der Wand - ein Blickfang, wenn man diesen Raum betritt.
Man sieht gleich: Dies ist ein kirchlicher Raum. Das Kreuz ist das Erkennungszeichen
von uns Christen.
Es erinnert an das qualvolle Leiden und Sterben Jesu. In Jesus ist Gott
uns Menschen nahe gekommen. Das Kreuz weist uns darauf hin, dass Gott
in allem, was wir an Schwerem und Leidvollem erleben, an unserer Seite
ist. Von Jesus glauben wir auch, dass er nicht im Tod geblieben ist, sondern
dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat. So ist das Kreuz auch ein
Zeichen der Hoffnung. Gott wird auch uns nicht dem Tod überlassen,
sondern durch den Tod hindurch in ein neues Leben führen.
Der Blick auf das Kreuz hat schon vielen Menschen geholfen. Dieser Blick
vermittelt Trost und Zuversicht: ´Ich bin nicht allein in meinem
Leid. Nichts und niemand kann mich von Gott und seiner Liebe trennen.
Ich kann nicht tiefer fallen als in seine Hände.` Um Trost geht es
heute in dem Teil seines zweiten Briefes an die Gemeinde in Korinth, den
Paulus geschrieben hat. Mit einem Dank für Gottes Trost in schwerer
Zeit beginnt der Brief:
"Gelobt sei Gott,
der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
ein Vater, der sich erbarmt und Gott allen Trostes,
der uns tröstet in aller unserer Trübsal.
Darum können auch wir trösten,
die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost,
mit dem wir selber getröstet werden von Gott."
"Trost" - dieses Wort weckt warme Gedanken und Gefühle.
Ein Kind, das fällt, wird von der Mutter in den Arm genommen und
gestreichelt. Dabei redet die Mutter beruhigend auf das Kind ein, bis
Schmerz und Schreck überwunden und die Tränen getrocknet sind.
Trost braucht auch ein erwachsener Mensch, wenn ihm etwas Trauriges widerfährt
oder etwas, das ihm Angst macht.
Anselm Grün, Benediktinermönch und Autor vieler Bücher
über Spiritualität, schreibt: "Trösten heißt
nicht, dem anderen tröstende Worte zu sagen. Vor allem aber heißt
es nicht, ihn mit frommen Worten zu vertrösten. Das deutsche Wort
Trost kommt von Treue und bedeutet ursprünglich: Festigkeit. Trösten
heißt also, dass ich bei dem anderen stehen bleibe. Ich halte seine
Tränen, seine Verzweiflung, seine Sinnlosigkeit aus, ohne etwas zu
beschwichtigen." (Publik-Forum Extra 5/09, S.6-7)
Manchmal geht es einfach nur darum, den, der Trost braucht, in den Arm
zu nehmen, da zu sein und menschliche Nähe zu zeigen.
Halt geben in Angst und Not, Schmerzen lindern, Hoffnung und Zuversicht
wecken - all das ist Trost. Und noch mehr: Paulus hat Gottes Trost darin
erfahren, dass Gott ihn aus einer Not herausgeholt hat. Sein Trost-Erlebnis
war nicht die Tröstung in der Not, sondern das herausgeholt-Werden
aus der Not. Dafür dankt er Gott.
Gleich im Anschluss an seinen Dankpsalm beschreibt er, worin seine Not
bestanden hat: "Wir wollen euch, liebe Geschwister, nicht verschweigen
die Bedrängnis, die uns in der Provinz Asien widerfahren ist. Wir
waren über die Maßen beschwert und über unsere Kraft,
sodass wir am Leben verzagten. Ja, wir hielten es für beschlossen,
dass wir sterben müssten. Aber Gott hat uns aus solcher Todesnot
errettet."
Er und sein Mitarbeiter Timotheus befanden sich im Gefängnis und
mussten mit dem Schlimmsten rechnen. Aber sie sind doch wieder frei gekommen.
Paulus deutet die Befreiung so: "Das geschah, damit wir unser Vertrauen
nicht auf uns selbst setzten, sondern auf Gott, der uns errettet hat und
erretten wird. Auf ihn hoffen wir, er werde uns auch hinfort erretten."
Trost hat also auch diese Bedeutung: Beendigung der Not, Rettung zum Leben.
Trost ist das, was die Not wendet.
Das geschieht auch, wenn ein Kind nach einem Sturz getröstet wird.
Das Trösten hat zum Ziel, dass das Kind über den Schmerz hinwegkommt.
So ist es in der Regel. Bald ist alles wieder gut, die Tränen sind
getrocknet und das Spiel geht weiter.
Wenn ein Mensch einen großen Schmerz erleidet, wie den Tod eines
nahe stehenden Angehörigen, dann braucht es viel Trost, bis der Trauernde
sich wieder mit Freude dem Leben zuwenden kann. Denn ein solcher Verlust
reißt einem den Boden unter den Füßen weg. Da braucht
man jemanden, der bei einem steht.
Das lateinische Wort für Tröster weist darauf hin. Es heißt
"consolator". Das Wort ist zusammengesetzt aus "con",
das heißt "mit", und aus "solus", das heißt
"allein". Der Tröster ist der, der die Einsamkeit des Trauernden
teilt und mit ihm aushält.
Paulus hat Trost erfahren, als er um sein Leben fürchten musste.
Er erlebt den Trost als Rettung. Er kommt noch einmal davon und darf weiter
leben. Ihm ist in überreichem Maße Trost wiederfahren. So deutet
er die Erfahrung in seinem Brief: "Wie die Leiden Christi reichlich
über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch
Christus."
Das griechische Verb, das hier steht, bedeutet "überfließen,
überströmen, im Überfluss vorhanden sein." Jesus Christus
ist derjenige, von dem der Trost ausgeht und überströmt auf
Paulus und von ihm auf die Gemeinde.
Paulus entwirft das Bild eines großen Kreislaufes. Der Trost Gottes
wird weiter gereicht von einem zum anderen. Alle empfangen und alle geben,
weil alle bedürftig sind, auch und gerade der große Apostel.
Alle trösten einander in dem doppelten Sinn, dass Gemeindeglieder
einander beistehen im Leid und einander aus dem Leid ins Leben rufen.
So entsteht ein Beziehungsnetz zwischen Himmel und Erde, ein umfassendes
Trostverbundsystem. Darin kann auch das Leiden der einen den anderen zugute
kommen, weil es deren Beziehung zu Gott festigt. So sieht es jedenfalls
Paulus, wenn er schreibt: "Wenn wir Trübsal leiden, geschieht
es euch zu Trost und Heil. Wenn wir getröstet und ermutigt werden,
so bedeutet das auch für euch Trost und Ermutigung in schweren Zeiten."
Eingebunden ist dieses Trostsystem sind auch wir. Vielleicht ist das
unser besonderer Auftrag als Kirche und Gemeinde in der heutigen Zeit:
dafür einzutreten, dass Leid und Schmerz sein dürfen.
Ich habe zunehmend den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft Leid als
eine Art technisches Problem angesehen wird, das es zu beseitigen gilt.
Die Frage nach Sterbehilfe ist in unserer Gesellschaft aktuell geworden.
Unsere europäischen Nachbarn haben die Diskussion bei uns verstärkt:
In den Niederlanden ist eine Sterbeklinik eröffnet worden. Ab diesem
März bieten mobile Euthanasie-Teams vom "Lebensende-Krankenhaus"
schwerkranken Patienten Sterbehilfe an.
In der Schweiz gibt es schon länger die Möglichkeit, sich unter
ärztlicher Aufsicht einen Giftbecher reichen zu lassen, der einen
auf sanfte Weise vom Leben in den Tod hinüberbefördert. Timo
Konietzka, der ehemalige Fußballprofi und Schütze des ersten
Bundesligatores, hat am vergangenen Montag davon Gebrauch gemacht.
Im Januar hat er einem Journalisten der Westdeutschen Zeitung sein letztes
Interview gegeben. Darin sagt er: "Ich will nicht leiden, und ich
will es auch nicht meinen Nachkommen antun, noch jahrelang als Pflegefall
am Leben gehalten zu werden, wenn es mal so weit kommt."
Genau das ist die Angst vieler Menschen. Die Angst, anderen zur Last zu
fallen. Früher war es selbstverständlich, dass ein kranker Mensch
gepflegt wurde bis zu seinem Tod. Diese Selbstverständlichkeit ist
uns abhanden gekommen. Einrichtungen wie die Sterbeklinik in Holland und
die Hilfen zur Selbsttötung in der Schweiz verändern auch in
unserer Gesellschaft die Haltung zu chronisch Kranken und Pflegebedürftigen.
Unsere evangelische Kirche weist auf mögliche Folgen dieser veränderten
Einstellung hin: Unheilbar Kranke können das Gefühl bekommen,
sie müssten sich für Sterbehilfe entscheiden, weil die Gesellschaft
die Kosten für ihre Versorgung nicht mehr tragen will.
Krankheit als eine Last, Leid als etwas, das es zu vermeiden gilt - in
diese Richtung ändert sich das Klima in unserer Gesellschaft.
Die Gemeinschaft europäischer Kirchen hat Ende des vergangenen Jahres
eine Orientierungshilfe herausgegeben unter dem Titel "Zeit zum Leben
- Zeit zum Sterben". Die Synode unserer Evangelischen Kirche im Rheinland
hat sich im Januar mit dem Text befasst und der kirchlichen Öffentlichkeit
empfohlen, dies ebenfalls zu tun.
Die Denkschrift stellt deutlich heraus, dass niemand unnötig leiden
soll. Sie weist allerdings darauf hin, dass es dazu andere Möglichkeiten
gibt, als das Sterben selbst herbeizuführen. Statt Schwerkranken
den Giftbecher zu reichen, gilt es, sie umfassend zu umsorgen. Deshalb
tritt unsere Kirche für einen Ausbau der Palliativmedizin ein. Palliativ
kommt von pallium, der Mantel. Eine ummantelnde Behandlung soll Schwerstkranken
in der letzten Lebensphase zuteil werden. Sie sollen Trost erfahren, indem
ihnen Schmerzen genommen werden und Menschen ihnen liebevoll zugewandt
bleiben.
Ich hoffe, dass diese Haltung, für die unsere Kirche eintritt, sich
in der Gesellschaft durchsetzt. Und ich glaube, je mehr die Palliativmedizin
und daran angeschlossene Hospize ausgebaut werden, desto mehr schwindet
auch die Angst davor, unheilbar krank zu werden. Denn man weiß:
´Ich bin keine Last, sondern bin es wert, liebevoll umsorgt zu werden
bis zum Ende.
Wohltuend finde ich, wie die Süddeutsche Zeitung von dem Selbstmord
Konietzkas berichtet: kurz und knapp. Unter dem Bericht steht diese Anmerkung
der Redaktion: "Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über
Selbstmorde zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände
besondere Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung gestalten wir in solchen
Fällen deshalb bewusst zurückhaltend, wir verzichten weitgehend
auf Details. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe
Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide.
Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend
die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder
0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen
Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten."
Das entspricht dem, wofür wir als Christen und als Kirche einstehen:
das Trostverbundsystem in der Gesellschaft auszubauen, so dass jede und
jeder in Leid und Schmerz gehalten und umsorgt wird.
Timo Konietzka glaubte nur an das, was er hörte, fühlte und
sah. Er glaubte an keinen Gott und darum auch nicht daran, dass Gott es
mit ihm zu einem guten Ende führen könnte. Er war jemand, der
immer den direkten Weg zum Tor gesucht und vor dem Tor nie lange gefackelt
hat. Genauso hat er gelebt und so seinem Leben nun auch ein Ende gesetzt.
Wir glauben mit Paulus an Gott, der barmherzig ist und allen Trost für
uns bereit hält. Solchen Glauben finde ich übrigens auch unter
vielen Ärzten. Bei einer alten Frau, die schwer erkrankt war, überlegte
die Ärztin zusammen mit der Angehörigen, ob sie die Patientin
noch an Geräte anschließen sollte. Beide waren der Meinung,
dass dies nur das Sterben verlängern würde. Deshalb verzichtete
die Ärztin darauf, ihr medizinisches Handwerk einzusetzen. Sie sagte:
"Lassen wir den Herrgott sein Handwerk tun." Und das geschah
dann auch recht bald, indem Gott die Kranke zu sich nahm.
Trost, so haben wir von Paulus gelernt, ist eine Ermutigung zum Leben,
ein Ruf ins Leben. Das ist der Trost, der uns am Ende des Lebens zuteil
wird: dass wir gerufen werden in ein neues Leben.
Was ist dein Trost im Leben und im Sterben? So fragt der Katechismus:
Dass ich im Leben und im Sterben mit Leib und Seele nicht mir, sondern
meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.
Gelobt sei Gott, der Gott allen Trostes. Amen.
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