Es ist ein harter Kontrast, den uns das Kirchenjahr zumutet. Gerade noch
haben wir Weihnachten gefeiert, die Geburt des göttlichen Kindes
in Bethlehem. Nun ist schon von dessen bevorstehendem Tod die Rede. Der
Text, der uns heute zum Nachdenken aufgegeben ist, handelt vom letzten
öffentlichen Auftreten Jesu. Danach ging er weg, und die Leute sahen
ihn nicht mehr, heißt es am Ende des Abschnitts.
"Glaubt an das Licht, solange ihr´s habt", hat er den
Leuten noch zugerufen. So wie Johannes es in seinem Evangelium erzählt,
ist das sein Testament, sein letztes, an die Öffentlichkeit gerichtetes
Wort.
Ein Wort, das wir gut hören können. Das Licht der Weihnachtszeit
ist längst ausgegangen. In der Kirche steht noch der Baum, aber wir
sehen ihn nicht mehr. Das Licht ist nur für kurze Zeit bei uns gewesen.
So war es auch, als Jesus als Mensch mit Fleisch und Blut unter den Menschen
gelebt hat. Nur für kurze Zeit war er da. Und dann war er weg.
Und die Leute sagen zu Jesus: ´Aus der Heiligen Schrift haben wir
doch gehört, dass der Christus, der Messias, der von Gott gesandte
Retter in Ewigkeit bleibt. Wie kann das sein, dass er stirbt? Wer bist
du überhaupt?`
Propheten haben angekündigt, dass der Messias sein Reich aufrichtet,
in dem die Menschen friedlich zusammen leben, und dass dieses Reich ewig
bleiben wird. Davon war damals zu Jesus Zeiten wenig zu sehen. Davon ist
bis heute wenig zu sehen. Das Reich, in dem Frieden und Gerechtigkeit
sich küssen, in dem alle Menschen genug zum Leben haben, dieses Reich
gibt bis heute nirgendwo. Dies ist der stärkste Einwand, der gegen
den Glauben an Jesus Christus als das Licht und den Erlöser der Welt
spricht. Die Welt ist nach wie vor unerlöst. Nichts spricht dafür,
dass sie jemals erlöst sein wird. Zumindest nicht, solange Menschen
leben.
Deshalb konnten sich schon damals, zu Jesu Lebzeiten und kurz danach,
die meisten Menschen nicht vorstellen, dass er der von Gott gesandte Retter
sein soll. Die große Mehrheit des jüdischen Volkes glaubte
das nicht. Der Evangelist Johannes hatte damit ein großes Problem.
Er musste erklären, warum das, was die meisten Mitmenschen für
kompletten Unsinn halten, doch die Wahrheit ist.
Vor diesem Problem stehen wir bis heute. Auf dem Papier gehören immer
noch sehr viele Menschen in unserem Land einer Kirche an. Aber die Zahl
schrumpft. Und die Menschen, die sich als gläubige Christen bezeichnen,
sind schon lange eine Minderheit. Die Frage, die auch wir immer wieder
für uns selbst beantworten müssen, lautet: Was gibt uns Grund,
trotz aller Finsternis in der Welt zu glauben, dass mit Jesus das Licht
gekommen ist, das der Welt einen neuen Schein gibt?
Der Evangelist Johannes nimmt den Einwand ernst, der gegen diesen Glauben
spricht. Er sagt: Ja, Jesus ist am Kreuz gestorben, und das ewige Friedensreich
ist nicht da. Und zahlreiche Menschen sind von Finsternis umgeben und
wissen nicht, wohin sie gehen. Sie tappen im Dunkeln, haben keinen Plan
und kein Ziel.
Das alles ist überhaupt nicht zu bestreiten. Aber. Trotz aller Finsternis
und aller negativen Erfahrungen, die gegen den Glauben sprechen, beharrt
Johannes darauf: Jesus ist das Licht, das in die Welt gekommen ist. Dieses
Licht ist aber nur für Menschen zu sehen, die es sehen wollen, die
sich im Glauben dafür öffnen. Nur mit den Augen des Glaubens
kann man es sehen.
Aber was heißt nun glauben?
Der Glaube ist etwas, das man nicht kaufen kann. Man kann ihn auch nicht
haben wie etwas, das man besitzt. Der Glaube ist kein Besitz. Er ist immer
ein Geschenk. Mit dem Glauben geht es wie mit jedem Geschenk: Man kann
es achtlos liegen lassen oder man kann es in Gebrauch nehmen und sich
daran freuen, dass einem jemand mit diesem Geschenk seine liebevolle Zuneigung
gezeigt hat. Indem er uns den Glauben schenkt, zeigt uns Gott seine liebevolle
Zuneigung. Nun ist es an uns Menschen, was wir damit machen.
Johannes gibt seinen Lesern und Zuhörern, seinen Leserinnen und Zuhörerinnen
eine Bedienungsanleitung für den Umgang mit dem Geschenk des Glaubens:
"Wandelt im Licht, solange ihr es habt." "Wandelt"
- das ist ein altes Wort, das heute kaum mehr in Gebrauch ist. Neuere
Übersetzungen schreiben: "Geht euren Weg, solange ihr das Licht
habt." Damit auch alle verstehen, was er meint, sagt er das gleiche
noch einmal mit anderen Worten: "Glaubt an das Licht, solange ihr
es habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet."
Es geht also darum, dass wir uns bei unserem Tun und Lassen orientieren
an dem Licht, das von Jesus ausgeht. Es geht darum, im Glauben unseren
Weg zu gehen, im Vertrauen darauf, dass Jesus bei uns ist mit seinem Heiligen
Geist, der tröstet und Mut macht. Dabei wissen wir von Dietrich Bonhoeffer:
Er gibt uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen. Das ist es, was uns der Glaube zumutet:
Er gibt uns keine Sicherheit, keine Garantie. Bauen können wir darauf,
dass viele Menschen die Erfahrung gemacht haben: Wer im Vertrauen auf
Jesus Christus seinen Weg geht, wird nicht enttäuscht. Und selbst
wenn der Weg durch ein finsteres Tal geht, Jesus bleibt an der Seite und
weist mit seinem Licht einen Weg durch das Tal hindurch.
Ich habe die Geschichte von einem Mann gelesen, der sich lange Zeit in
einem finsteren Tal befand. Es waren Jahre der Krankheit und Niedergeschlagenheit.
Zahlreiche Ärzte hat er aufgesucht, Therapien gemacht - nichts hat
wirklich geholfen. Schließlich hat er versucht, seinem Leben selbst
ein Ende zu setzen. Trotz allem hat er jeden Tag diesen Psalm gebetet:
"Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln." Er sah kein
Licht mehr, alles um ihn herum und in ihm war nur noch finster. Aber tief
in seinem Inneren, vermutlich für ihn selbst verborgen, war auch
noch ein Funken Hoffnung. Dieser kleine Rest von Hoffnung ließ ihn
festhalten an dem alten Gebet, das schon so vielen Menschen Trost und
Halt gegeben hat. Eines Morgens dann, schreibt er, sei ihm plötzlich
ein Licht aufgegangen. Er sprach wie jeden Morgen den Psalm vor sich hin,
wo es dann im vierten Vers heißt: "Und ob ich schon wanderte
im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei
mir, dein Stecken und Stab trösten mich." Bei diesem Satz hatte
er das Gefühl, als breite sich ein Licht in ihm aus. Es sei hell
und warm in ihm geworden, das habe er richtig gespürt. Er schreibt:
"Da wusste ich plötzlich: Ich bin wirklich nicht allein."
Von diesem Moment an habe sich sein Leben geändert. Der Mann schöpfte
wieder Hoffnung. "Langsam, Schritt für Schritt, bin ich wieder
auf die Beine gekommen", schreibt er. Er kann inzwischen sgogar wieder
arbeiten. (Die Geschichte ist von Melanie Kirchstein, Pastorin in Hamburg-Winterhude
in Andere Zeiten, Magazin zum Kirchenjahr 1/2013, S. 17)
"Wandelt, geht euren Weg, solange ihr das Licht habt", schreibt
der Evangelist Johannes, "werdet Kinder des Lichtes."
Was dabei hilft, macht die Geschichte von diesem Mann deutlich: Der Rückgriff
auf Texte der Glaubenstradition. In diesen Texten wohnt eine Jahrtausende
alte Hoffnung, von unzähligen Menschen gesprochen. Viele Jahre hat
sich da einer sehr allein gefühlt in seinem Seelendunkel. Trotzdem
hat er festgehalten an diesem alten Gebet, das der Verzweiflung trotzt
und sagt: Du bist nicht allein. Es gibt Licht auch für deine Dunkelheit.
Unser Presbyterium unternimmt jedes Jahr ein gemeinsames Wochenende.
Vorher verabreden wir immer ein bestimmtes Thema, über das wir sprechen
wollen. Bei unserem letzten Wochenende ging es um die Frage: Was gibt
uns Halt, woraus schöpfen wir Kraft und Hoffnung, was lässt
uns ein Licht sehen in aller Dunkelheit, die uns manchmal umgibt?
Alle haben sich zu Hause Gedanken dazu gemacht und diese dann den anderen
in einer Gesprächsrunde zur Verfügung gestellt. Herausgekommen
ist eine Sammlung von Bibelversen, Liedversen und anderen Texten. "Kraftquellen
- Rast- und Ankerplätze christlichen Lebens", hat sie einer
unserer Mitpresbyter genannt. Aus diesen Quellen schöpfen wir Ermutigung,
Vertrauen und Geborgenheit. Der Psalm von dem guten Hirten gehört
dazu genauso wie das Gedicht von Dietrich Bonhoeffer "Von guten Mächten"
und sein Glaubensbekenntnis, das wir vorhin gemeinsam gesprochen haben.
Während wir uns unsere Texte und unsere persönlichen Gedanken
dazu vorstellten, hatten wir das Gefühl, das ein Licht in dieser
Runde zu leuchten anfing. Von außen schien eine Weile die Sonne
in den Raum, bevor sie dann hinter den Hügeln verschwand. Innen drin
breiteten sich Licht und Wärme aus, weil die Menschen in der Runde
sich füreinander öffneten mit dem, was sie sagten und wie sie
einander zuhörten. So wurde spürbar, was die Texte zusprechen:
Vertrauen und Geborgenheit. Und davon ging eine große Ermutigung
aus.
Die Welt ist unerlöst, das Reich Gottes ist heute genauso nah oder
genauso weit entfernt wie damals, als Johannes sein Evangelium schrieb.
In der Presbyterrunde erzählten einige Teilnehmer von ihrem persönlichen
Leid. Den Frieden auf der Erde hat Jesus nicht gebracht. Und er nimmt
uns auch die Lasten nicht ab, die wir persönlich zu tragen haben.
Aber er gibt uns Kraft, die Lasten zu tragen. "Ich bin in die Welt
gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis
bleibe." So sagt er.
Die Lichter von Weihnachten waren nur für eine kurze Zeit bei uns.
Sie sind erloschen. Aber das Licht, das von Jesus ausgeht, bleibt. Wir
sehen es nicht immer in gleicher Weise leuchten. Es gibt sicher auch Zeiten,
in denen wir es gar nicht sehen. Auch das ist eine Erfahrung, die wir
mit den Christen der Johannesgemeinde teilen. In solchen Zeiten kann uns
das Licht der Sonne ein Beispiel sein. Mal sehen wir dieses Licht und
mal nicht, dann ist es Nacht. Aber wir wissen, dass die Sonne da ist und
wieder aufgehen und ein neuer Tag beginnen wird. So können wir auch
in dunklen Stunden wissen, dass Jesus Christus mit seinem Heiligen Geist
bei uns ist und unseren Weg erleuchtet.
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