"Das war ein Zufall." So antwortete eine Frau auf meine Frage,
wie sie und ihr Mann sich kennen gelernt haben. Er wohnte und arbeitete
in Duisburg. Sie wohnte in Frankfurt und arbeitete bei den Opelwerken
in Rüsselsheim. Bei dieser Entfernung ist es sehr unwahrscheinlich,
dass man sich mal irgendwann über den Weg läuft. Deshalb meine
Frage. "Ein Zufall", sagte sie. Dieser Zufall ereignete sich
vor 41 Jahren. Und das geschah so. Nach einer Herzerkrankung wurde er
zur Kur geschickt. Zur gleichen Zeit fand ihr Chef, dass sie auch eine
Kur nötig hatte. Sie wollte eigentlich nicht. Aber der Chef bestand
darauf.
So trafen Heinz aus Duisburg und Ilse aus Frankfurt in demselben Sanatorium
in Bad Berleburg ein. Sie wurden Teil einer Clique, die jeden Tag ausgiebige
Spaziergänge durch das schöne Sauerland machte. Heinz und Ilse
hatten sich dabei viel zu erzählen. Sie freundeten sich an. Keiner
von beiden war auf eine kurzfristige Kurschatten-Beziehung aus. Nach der
Kur fuhr er am Wochenende nach Frankfurt. Einmal im Monat kam sie nach
Duisburg. Das war auf Dauer sehr aufwendig. Deshalb fragte er sie, ob
sie ihn nicht heiraten wollte. Sie hatte zunächst Bedenken, das sie
eine gescheiterte Ehe hinter sich hatte, aus der zwei Kinder hervorgegangen
waren. Ihre Eltern rieten ihr zu. Sie selbst wollte auch mal weg aus Frankfurt.
So heirateten Heinz und Ilse. Sie zog zu ihm nach Duisburg. Hier leben
sie seit mittlerweile vierzig Jahren. Es geht ihnen gut miteinander, auch
wenn gesundheitlich nicht mehr alles gut ist.
Ein Zufall. Die Frau hätte auch sagen können: Wir sind uns zugefallen.
Da hat jemand seine Hand im Spiel gehabt, der uns zueinander geführt
hat.
Das ist eine Art und Weise, wie Gott sich in unserem Leben bemerkbar macht.
Auf geheimnisvolle Weise führt und leitet er uns. Vieles in unserem
Leben fügt er zum Guten. Führen und fügen, damit ist Gott
unaufhörlich beschäftigt. Oft ist uns das nicht bewusst. Etwas
ist eben noch einmal gut gegangen. Da sagen Menschen "Glück
gehabt." Oder etwas hat sich unerwartet so ergeben. Niemand hat damit
gerechnet. Da sagen Menschen: "Welch ein Zufall." Ich glaube,
hinter solchen Zufällen und Glücksmomenten steckt oft Gott.
Er hat es so gefügt.
Die Geschichte von Philippus und dem hohen Beamten aus Äthiopien
erzählt das auf beispielhafte Weise. Ein Engel schickt Philippus
nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt.
Eine öde Gegend. Philippus wäre normalerweise nicht auf die
Idee gekommen, dorthin zu gehen. Zumal er sich zu Fuß auf den Weg
machen musste. In welcher Gestalt dem Boten Jesu der Engel erschienen
ist, wissen wir nicht. Vielleicht war es eine Stimme in seinem Inneren.
Vielleicht wurden unbewusst seine Schritte dorthin gelenkt. Das geht mir
auch manchmal so, dass ich irgendetwas tue, ohne zu wissen, warum eigentlich.
Als Philippus auf der Straße angekommen ist, bekommt er eine neue
Anweisung. Nun ist es Gottes Geist, der zu ihm spricht. Offenbar machen
sich Engel und der Geist auf ähnliche Weise einem Menschen bemerkbar.
Der Geist sagt ihm, er soll sich zu dem Wagen halten, der da vorbeifährt.
So treffen der Jünger Jesu und der Minister der äthiopischen
Königin aufeinander. Philippus weiß auch, die richtige Frage
zu stellen, als der Äthiopier vorbeifährt. Diese Frage veranlasst
den Mann aus Afrika, Philippus zu sich in den Wagen einzuladen. Die beiden
kommen ins Gespräch. Philippus erklärt dem Fremden die Bibelstelle,
die der gerade las. Er erzählt ihm von Jesus. Davon ist der königliche
Beamte so angetan, dass er sich taufen lassen will. Zufällig kommen
sie an einer Wasserstelle vorbei, so dass Philippus ihn dort an Ort und
Stelle taufen kann. Der Äthiopier zog seine Straße fröhlich.
Er setzte seine Reise voller Freude fort. So kam der Glaube an Jesus,
den von Gott gesandten Retter, nach Afrika.
Wer diese Geschichte ohne die Hinweise auf den Engel und den Geist hört,
sagt vielleicht auch: ´Was für ein Zufall. Eine Verkettung
glücklicher Umstände. Da war mit Philippus der richtige Mann
am richtigen Ort.`
Die Apostelgeschichte macht deutlich: Gott ist es, der das alles so gefügt
hat. Er hat durch seinen Engel und seinen Geist dafür gesorgt, dass
der Philippus dem Äthiopier zugefallen ist.
So ist es mit vielem, was Menschen als Zufall bezeichnen. Da fällt
einem Menschen etwas zu, was jetzt gut für ihn ist, was er jetzt
braucht hat, was seinem Leben und manchmal auch dem Leben vieler Menschen
gut tut.
Dafür zwei Beispiele aus der Medizin: Der Physiker Wilhelm Conrad
Röntgen war bekannt wegen seiner Schlampigkeit. Wieder einmal hatte
er sein Labor nicht aufgeräumt. Als er seine Gasentladungsmaschine
anschaltete, leuchteten plötzlich eine Handvoll Kristalle. Er war
nicht nur schlampig, sondern auch neugierig. Darum ging er der Sache auf
den Grund. Dabei stellte er fest, dass Strahlen ausgetreten waren, mit
denen man eine Hand durchleuchten konnte, sodass die Knochen sichtbar
wurden. Diese zufällige Entdeckung aus dem Jahr 1885 führte
zur Entwicklung der Röntgen-Apparate, die aus der Medizin schon lange
nicht mehr wegzudenken sind.
Genauso bahnbrechend war eine andere zufällige Beobachtung. Der Mediziner
Alexander Fleming kam im September 1928 aus dem Urlaub zurück. Vor
Beginn der Reise hatte er in seinem Labor eine Bakterienkultur angelegt.
Als er seinen Dienst wieder antrat, stellte er fest, dass die Petrischale,
in der er die Krankheitserreger gezüchtet hatte, von einem Schimmelpilz
überzogen war. Dieser Pilz aus der Gattung Penicillium hatte die
Bakterien abgetötet. Fleming unternahm aufgrund dieser Beobachtung
weitere Forschungen. In den folgenden Jahren entwickelte er das lebensrettende
Penicillin.
Beide Entdeckungen sind Menschen zugefallen, die mit diesen Zufällen
etwas anzufangen wussten. So können Zufälle zu Fügungen
Gottes werden: Indem Menschen das, was ihnen zufällt, annehmen als
einen Hinweis, dem sie nachgehen sollten.
Auch in meinem Leben gibt es vieles, was mir zugefallen ist oder wo mich
ein glücklicher Zufall vor einem Unglück bewahrt hat. Manche
"Zufälle" haben meinem Leben eine entscheidende Wende gegeben.
Manchen verdanke ich, dass ich überhaupt noch da bin. Ich sehe sie
als gute Fügungen Gottes an, die mir oft in meinem Leben widerfahren
sind und mich bis heute bewahrt haben.
Zufälle, Fügungen, Schicksalswendungen bestimmen unser Leben.
Manche Menschen meinen, sie könnten sich dagegen absichern. Auch
in der Kirche höre ich immer wieder den Satz, wir müssten die
Kirche zukunftsfähig machen. Das klingt so, als wüssten Menschen,
wie sich bisherige Abläufe in der Zukunft weiterentwickeln. Sie nehmen
die Vergangenheit als Modell für die Zukunft. So werden Berechnungen
angestellt, wie viele Gemeindeglieder die Evangelische Kirche im Rheinland
im Jahr 2030 haben wird. Mit dieser Zahl wird weiter gerechnet, wie viele
Pfarrstellen dann noch gebraucht werden.
Zur Zeit wird eine neue Art der Buchführung in unserer Kirche eingeführt.
Diese setzt voraus, dass sich alles zählen, messen und wiegen lässt,
wie es die kaufmännische Buchführung verlangt. Wenn das neue
System läuft, wovon wir bisher noch weit entfernt sind, soll jeder
Haushaltsplan schon vorweg für die nächsten drei Jahre fortgeschrieben
werden.
Es hat sich jetzt schon als Illusion erwiesen, mit dieser Art der Buchführung
die Kirche "zukunftsfähig" machen zu können. Diejenigen
in der Landeskirche, die mit aller Gewalt die Umstellung wollten, haben
selbst die großen Schwierigkeiten nicht vorhergesehen, in die sie
die gesamte Kirche gebracht haben. Sie wollten ein Instrument entwickeln,
mit dem sich die Zukunft planen lässt. Bisher tut dieses Instrument
nur eins: Es bürdet allen, die damit beschäftig sind, Arbeit
bis über die Grenzen ihrer Belastbarkeit auf. Es bürdet der
Kirche insgesamt immense Kosten auf.
Ein Beispiel dafür, dass es eine Illusion ist, das Leben planen
und kontrollieren zu können. Das Leben ist zu vielschichtig, als
dass wir alle Eventualitäten berücksichtigen könnten. Schon
im nächsten Moment kann alles anders sein. Das gilt für das
private Leben ebenso wie für das berufliche, für die Wirtschaft
und die Wissenschaft und auch für die Kirche.
Die alten "Weisheiten" über Zusammenhänge von Ursache
und Wirkung erweisen sich oft als trügerisch: Leistung zahlt sich
aus, zu jedem Topf findet sich der passende Deckel, auf Regen folgt Sonnenschein.
Es gibt in der Realität unzählige Beispiele, die das Gegenteil
belegen, bei denen jemand einfach Glück - oder auch Pech - hatte.
Wir können unser Leben nur begrenzt steuern. Das Glück findet
sich selten dort, wo wir es suchen. Doch manchmal findet uns das Glück,
ohne dass wir es gesucht haben.
Vor einiger Zeit habe ich ein sehr interessantes Buch gelesen, das sich
mit Ereignissen beschäftigt, die niemand für möglich gehalten
hat. Deshalb hat auch niemand ein solches Ereignis vorhersehen und -sagen
können. Der Verfasser, ein früherer Börsenhändler,
nennt diese Ausreißer aus dem Normalen "Schwarze Schwäne".
Es gab eine Zeit, da waren die Menschen in Europa überzeugt davon,
dass alle Schwäne weiß sind. Es gab keinen Schwan, der anders
als weiß gefiedert war. Darum kam niemand auf die Idee, diese Überzeugung
anzuzweifeln. Doch diese Überzeugung brach zusammen, als Australien
entdeckt wurde. Da gab es Schwarze Schwäne.
So beruhen viele Überzeugungen der Menschheit auf dem, was Menschen
sehen, zählen, messen und wiegen können. An vielen Beispielen
legt der Verfasser dar, dass viele dieser Überzeugungen sich als
Irrtum erweisen durch einen "Schwarzen Schwan". Also durch ein
Ereignis, das niemand vorhersehen konnte, weil niemand es für möglich
gehalten hat.
Eine Schlussfolgerung des Autors lautet: "Dass wir Ausreißer
nicht vorhersagen können, bedeutet, dass wir den Lauf der Geschichte
nicht vorhersagen können." (S.5) Er stellt die kühne Behauptung
auf, dass die Zukunft sich trotz oder wegen unserer Fortschritte und unseres
wachsenden Wissen immer weniger vorhersagen lassen wird.
Dass Zufälle einen wichtigen Einfluss auf unser Leben haben, führt
nicht dazu, dass wir alles dem Zufall überlassen können. "Nicht
jeder, der nach Indien fährt, entdeckt Amerika", hat Erich Kästner
humorvoll gesagt. Zufälle haben es an sich, dass sie sich nicht planen
und steuern lassen.
Planen müssen wir aber, wenn wir etwas erreichen wollen. In einem
Zeitungsinterview empfiehlt ein Psychologe, Lebenspläne so zu gestalten,
dass viele Möglichkeiten offen bleiben.
Wer zu genau sein Ziel verfolgt, kommt dort womöglich nicht an. Sein
Handlungsspielraum ist viel zu klein geworden. Der Psychologe nennt das,
dem Zufall eine Chance geben. Oder in Anlehnung an ein Gedicht von Hilde
Domin: Dem Zufall wie einem Vogel die Hand hinhalten.
Zufälle gibt es, weil Gott die Welt nicht fertig geschaffen hat
wie ein Ding, das immer so bleiben muss. Bestimmte Gesetzmäßigkeiten
hat er vorgegeben, damit Leben überhaupt entstehen kann. Ich glaube
auch, er hat die Entwicklung des Lebens so gesteuert, dass weltgeschichtlich
gesehen vor nicht langer Zeit wir Menschen entstanden sind.
Was wir Menschen tun, wie wir uns entwickeln im Laufe unseres Lebens,
wie die ganze Erde sich entwickelt, das hat Gott nicht festgelegt. Er
eröffnet unzählige Möglichkeiten.
In dem Leben auf der Erde spiegelt sich Gott selbst. Gott hat unbegrenzte
Möglichkeiten. Ihm ist nichts unmöglich, wie einige Geschichten
der Bibel erzählen. Er lässt geschehen, was niemand gedacht
hätte. Eine Jungfrau wird schwanger genau wie eine Frau in hohem
Alter. Lahme gehen, Blinde sehen, Aussätzige werden rein, Tote stehen
auf.
Gott öffnet dem Zufall Tor und Tür. Er ist immer bereit, mit
einer guten Fügung in unser Leben einzugreifen. Sein Heiliger Geist
weht, wo er will, und öffnet uns Herz und Sinne, dass wir annehmen,
was Gott uns zufallen lässt, und seinen Fingerzeigen folgen.
Dann werden auch wir, wie der Mann aus Äthiopien, fröhlich unserer
Wege gehen.
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