Predigt am 10. Mai 2015 - Miserikordias Domini |
Johannes 10,11-16 |
Der gute Hirte und der Wolf |
Am 1. Februar 1933 war im deutschen Rundfunk ein Vortrag zu hören, Thema: "Der Führer und der Einzelne in der jungen Generation". Redner: der damalige Studentenpfarrer und spätere Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Er sagte: "Lässt sich der Führer dazu hinreißen, das Idol der Geführten darstellen zu wollen, wird er zum Verführer." "Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes." Bevor Bonhoeffer diesen letzte Satz des Manuskriptes sprechen konn-te, wurde das Mikrophon ausgeschaltet. Drei Tage zuvor hatte Adolf Hitler die Macht im Deutschen Reich an sich gerissen. Eine Zeitung brachte den Vortrag in leicht gekürzter Fassung am
25. Februar. Im März hielt Bonhoeffer den Vortrag noch einmal in
der deutschen Hochschule für Politik in Berlin. In seinem Vortrag sieht Bonhoeffer in prophetischer Weise den Weg voraus, den das deutsche Volk bereit war zu gehen. Er sagt: "Der Einzelne weiß sich in unbedingtem Gehorsam dem Führer verpflichtet. Er löscht sich selbst aus, er ist Werkzeug in der Hand des Führers. Nicht er ist verantwortlich, sondern der Führer ist verantwortlich. In seinem Glauben an den Führer übergibt er diesem die letzte Verantwortung. In dieser Unterwerfung schaltet sich der Einzelne als eigene Persönlichkeit aus. Er überträgt seine Persönlichkeit auf den Führer." (GS1, S.31f) Bonhoeffer sieht auch deutlich, wie der Füh-rergedanke religiös überhöht wurde: Der Führer wird zum Messias. Mit seiner Erscheinung ist die Erfüllung der letzten Hoffnung angebrochen, da ist mit dem Reich, das er gründen will, "schon das ewige Reich nahe herbeigekommen." (S. 33) Hitler sprach tatsächlich vom tausendjährigen Reich, das mit seiner Herrschaft beginnen sollte. Jesus sprach vom guten Hirten, der sein Leben lässt für die Schafe, und vom schlechten Hirten, der die Herde im Stich lässt, wenn es brenzlig wird. Hitler war nicht nur ein schlechter Hirte. Er war ein abgrundtief böser Hirte, der seine Herde zum Tun des Bösen verführte und anspornte. Hitler ist selbst zum Wolf geworden, der sich auf die Schafe stürzte und jedes vernichtete, das sich ihm nicht unterwarf. Seinen Gefolgsleuten gab er den Befehl und die Erlaubnis, sich auch wie Wölfe auf andere Menschen zu stürzen und sie wahllos umzubringen. Alle, die ihn heute wieder verehren, sind dabei, seine bösen Taten zu wiederholen. Dietrich Bonhoeffer war Pastor. Dieses lateinische Wort heißt auf
Deutsch: Hirte. Bonhoeffer war ein Hirte, wie Jesus ihn gemeint hat. Verschiedene
Ämter hat er bekleidet. Er war Jugendpfarrer in Berlin, Gemeindepfarrer
in London, er war tätig in der jungen ökumenischen Bewegung
und zuletzt in der Ausbildung angehender Pastoren. Mit seinen Vorträgen
hielt er die Kirche und die einzelnen Menschen dazu an, das Gute und Gerechte
zu tun. Er war noch jung und hatte kein besonderes Amt in der Kirche. Deshalb
sind seine Worte in der Kirche kaum gehört und beachtet worden, im
deutschen Volk schon gar nicht. Hätte man auf ihn gehört, dann
hätte man wissen können, wohin der böse Hirte sein Volk
führt. Dass fast alle hinterher sagten, nichts von den unfassbaren
Verbrechen gewusst zu haben, hat damit zu tun, dass die allermeisten davon
auch nichts wissen wollten. Bonhoeffer hat sein Leben für die Schafe eingesetzt, für das deutsche Volk. Ihm und anderen, die unter den Nationalsozialisten anständig geblieben sind, verdanken wir Heutigen, dass unser Volk einen Rest von Ehre bewahrt hat. Unser Volk ist sehr ordnungsliebend. Bonhoeffer und die anderen Widerstandskämpfer
haben die damals herrschende Staatsordnung verletzt. Deshalb wurden ihre
Namen lange in der Öffentlichkeit verschwiegen. Der Richter, der
in Flossenbürg ohne Verhandlung die schnellen Todesurteile gefällt
hatte, konnte nach dem Krieg als Rechtsanwalt weiter seines Amtes walten.
Der Bundesgerichtshof stellte 1956 fest, dass er nach damaligem Recht
und Gesetz geurteilt hätte. Er hatte sich also nach Meinung des obersten
Gerichts nichts zuschulden kommen las-sen. Doch Bonhoeffer war ein tiefgläubiger Mensch. Aus seinen Schriften
geht hervor, dass er sich aus seinem Glauben heraus am Widerstand gegen
Hitler beteiligt hat. Er hat den Gehorsam gegenüber Gott über alles andere gestellt.
"Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen." (Apg 5,29)
Das hat er gelehrt und sich damit bei den Machthabern unbeliebt gemacht.
Ihm ging es darum, den Menschen den Weg zu Gott zu ebnen. "Ich bin
der gute Hirte und kenne die Mei-nen", so sagt er, "und die
Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater." Die Kirche und auch wir Einzelnen haben nach Bon-hoeffer die Aufgabe,
Jesus nachzufolgen. Das bedeutet auch, dass wir uns einzumischen haben
in Politik und Gesellschaft. Wir tragen Mitverantwor-tung für das,
was um uns herum, in unserer Stadt, in unserem Land geschieht. Der hat sich bedingungslos in den Dienst Gottes ge-stellt. An ihm ist
sichtbar geworden, wie Gott es mit uns Menschen meint und was er von uns
erwartet. Gott meint es gut mit uns. Er will, dass wir Men-schen leben
und uns gegenseitig unterstützen auf unseren Lebenswegen. Er will,
dass wir uns an seine Weisungen und Gebote halten und mit dafür sorgen,
dass es gerecht und friedlich unter uns Menschen zugeht.
Dietrich Bonhoeffer, Der Führer und der Einzelne in der jungen Generation Klaus Wengst, Das Johannes-Evangelium, 1. Teilband, S. 393-398 |