"Wird's besser? Wird's schlimmer?
fragt man alljährlich."
Wird´s besser? Nur jeder Fünfte sieht dem neuen Jahr "mit
großer Zuversicht und Optimismus entgegen." Das ergab die Untersuchung
eines großen Meinungsforschungsinstituts im November.
Wird´s schlimmer? Erstmals seit Jahren blickt die Mehrheit der Deutschen
mit Angst auf das kommende Jahr. von denen, die 55 Jahre und älter
sind, sagen sogar zwei Drittel: "Ich blicke angstvoll in die Zukunft."
Als die Befragung lief, ereigneten sich die Terroranschläge in Paris.
Die werden sicher die Ängste verstärkt haben. Auch was in der
Silvesternacht in Köln und in Hamburg geschah, erfüllt viele
Menschen mit großer Sorge. Da kommt im Moment vieles zusammen, was
Menschen beunruhigt.
Als Christen nehmen wir teil am Weltgeschehen. Was um uns herum passiert,
berührt und beschäftigt uns genauso wie alle anderen Menschen.
Trotz allem, was uns Sorgen macht, wollen wir Hoffnung und Zuversicht
bewahren.
"Was helfen uns die schweren Sorgen,
was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen
beseufzen unser Ungemach?"
So fragt der Liederdichter Georg Neumark und stellt fest:
"Wir machen unser Kreuz und Leid
nur größer durch die Traurigkeit."
Ähnlich sieht es Paul Gerhard:
"Mit Sorgen und mit Grämen
und mit selbsteigner Pein
lässt Gott sich gar nichts nehmen,
es muss erbeten sein."
Georg Neumark rät:
"Man halte nur ein wenig stille
und sei doch in sich selbst vergnügt,
wie unsers Gottes Gnadenwille,
wie sein Allwissenheit es fügt;
Gott, der uns sich hat auserwählt,
der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt."
Die Liederdichter mahnen dazu, sich nicht von Sorgen und Ängsten
gefangen nehmen zu lassen. Sie tun das aus einem starken Gottvertrauen
heraus.
Aus ganz einfachen Überlegungen kommt auch Erich Kästner zu
dem Schluss, man solle sich nicht zu viel Sorgen machen:
"Wird's besser? Wird's schlimmer?
fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich:
Leben ist immer lebensgefährlich."
In einem Film von Steven Spielberg wird ein Mann gefragt, der in höchster
Gefahr ist: "Machen Sie sich denn gar keine Sorgen?"
Der Mann antwortet: "Würde es denn helfen?" Was bringt
es, Tag und Nacht daran zu denken, dass der Lebensfaden nur noch ganz
dünn ist und jederzeit reißen kann? Welchen Sinn hat es, sich
alles Mögliche auszumalen, was kommt oder nicht kommt, wenn man doch
nichts dran ändern kann?
In der vergangenen Woche brachte das Erste eine Sendung mit Kai Pflaume.
Er ließ sich von schwerkranken Menschen deren Welt zeigen. Ich habe
die Folge am Dienstag gesehen. Die Menschen, die der Journalist vorstellte,
wussten, dass ihre Lebenszeit begrenzt ist. Pflaume sprach den jungen
Mann, der im Rollstuhl saß, darauf an. Der sagte: "Das weiß
doch jeder. Du weißt doch auch, dass deine Lebenszeit begrenzt ist."
Ja, im Prinzip weiß das jeder, antwortete Pflaume sinngemäß.
Aber für dich ist dieses Wissen konkreter. Der junge Mann bestätigte
das. Aber seine ganze Haltung verriet, dass er sich von diesem Wissen
nicht die Freude am Leben nehmen lassen wollte. Kai Pflaume hatte etwas
Besonderes für ihn vorbereitet: Einen Helikopterflug auf die Insel
Norderney und einen gemeinsamen Spaziergang am Strand entlang.
Was würde es helfen, sich jeden Tag bewusst zu machen, dass nicht
mehr viel Zeit bleibt? Da ist es doch besser, jeden Tag zu genießen,
den man erleben darf.
Würde es denn helfen? Diese Frage möchte ich mitnehmen in das
neue Jahr. Eine Sicht auf das Leben, wie sie aus dem Text des amerikanischen
Theologen Reinhold Niebuhr spricht, wünsche ich mir:
"Gott, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen
zu unterscheiden."
Es gilt, vernünftig abzuwägen: Was kann ich ändern und
was nicht?
Hier kommt nun auch der Apostel Paulus ins Spiel.
Er spricht von einem vernünftigen Gottesdienst. Sich selbst mit Leib
und Seele Gottes zu dienen, das ist für ihn der vernünftige
Gottesdienst.
Der beginnt damit, Gott zu vertrauen. Vertrauen darauf, dass nichts uns
von Gottes Liebe trennen kann.
Vertrauen darauf, dass Gott es gut mit uns macht.
"Gott, der uns sich hat auserwählt,
der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt."
Gott will Gutes für uns und seine ganze Schöpfung.
Da ist wieder Vernunft gefragt, um zu erkennen: Was ist Gottes Wille in
dieser und jener Situation? Was ist das Gute, das Gott will?
Paulus gibt einige Hinweise für das Leben in der Gemeinde: Da soll
jede und jeder die eigenen Gaben und Fähigkeiten einbringen zum Wohl
des Ganzen.
Die Gemeindeglieder sollen freundlich miteinander umgehen, Freude und
Leid miteinander teilen. Alle sollen sich gegenseitig darin bestärken,
fröhlich zu bleiben in der Hoffnung, gelassen zu bleiben in allem
Schweren und beharrlich auf Gott zu vertrauen.
Hoffnung, Gelassenheit und Gottvertrauen, all das haben wir nötig
in dem neuen Jahr, das jetzt schon wieder zehn Tage alt ist.
Denn ob wir wollen oder nicht: Wir müssen ganz schön viel auf
uns zukommen lassen. Wir wissen noch weniger als sonst, wohin es führen
wird, politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Ganz abgesehen davon,
was einem persönlich so alles zustoßen kann. Das vergangene
Jahr hat uns gezeigt, wie wenig sich selbst in unserem abgesicherten und
bestens organisierten Europa planen und vorhersagen lässt, wie wenig
sich das Unerwünschte ausschließen lässt. Wir waren froh,
dass wir uns frei in Europa hin und her bewegen konnten. Plötzlich
fangen viele Länder wieder an, ihre Grenzen dicht zu machen. In Großbritannien
gibt es starke Bestrebungen, sich aus der EU zu verabschieden. Wir glaubten,
dass zumindest in unserem Land die Sicherheit gewährleistet ist.
Und dann passieren massenhafte Angriffe auf Frauen, und die Staatsmacht
greift nicht ein. Noch vieles mehr ist im vergangenen Jahr geschehen,
was ich mir vorher nicht vorstellen konnte.
Wie reagieren auf die wachsende Unsicherheit? Man kann sich von der allgemeinen
Angst anstecken lassen und nach Sündenböcken suchen, wie rechte
Parteien und Gruppierungen es tun. Man kann alle Orte meiden, wo viele
Menschen zusammen kommen. Man kann versuchen, sich gegen alles Mögliche
abzusichern.
Diese Tendenz erlebe ich zur Zeit in unserer Kirche sehr stark. Gemeinden
und Kirchenkreise verwenden viel Energie darauf, sich "zukunftsfähig"
zu machen. So zum Beispiel unsere Nachbargemeinde, die bis 2030 schon
genau geplant hat, wer wann in den Ruhestand geht und welches Gebäude
wann geschlossen wird. Unsere rheinische Kirche weiß schon jetzt,
wie viele Kirchenmitglieder sie 2030 noch hat, wie viele Pfarrer und wie
viele Kirchen sie dann braucht. Wir in der Region Duisburg Süd sollen
in diesem Jahr erklären, wie viele Gottesdienststätten wir im
Jahr 2030 noch nutzen wollen.
So versucht unsere Kirche, sich "zukunftsfähig aufzustellen".
Wenn ich dieses Wort höre, kommt mir die Geschichte von dem reichen
Kornbauern in den Sinn. Dessen Feld hatte gut getragen. Er wusste nicht,
wohin mit dem vielen Korn. Da sagte er sich:
"Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und
will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte. Und dann will
ich mir sagen: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für
viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!" Aber
Gott sprach zu ihm: "Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von
dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?"
(Lukas 12,16-20)
Wir haben die Zukunft nicht in der Hand. Wir müssen sie vielmehr
aus Gottes Hand nehmen.
Matthias Dobrinski, ein von mir geschätzter Journalist der Süddeutschen
Zeitung, schrieb zum Jahresbeginn "ein Plädoyer für mehr
Schicksalsergebenheit". Er meint, man könne "sich in der
Kunst des richtig angewandten Fatalismus üben." "Dieser
Fatalismus beugt sich dem Unausweichlichen und bewahrt doch das Eigene.
Er richtet sich wieder auf, selbst wenn er weiß, dass er sich dem
nächsten Unausweichlichen beugen muss. Er verzieht gewissermaßen
den Mund zum Spott, wenn einer mit seinen quälenden Sorgen kommt
und seiner namenlosen Angst, mit brennendem Hass oder dunkler Verzweiflung.
Und: Was hilft das alles? Wie der Humor schafft der Fatalismus Abstand.
Er verkleinert das Übermächtige."
Dobrinski plädiert für mehr Gelassenheit: "So viele Dinge
kann man nicht ändern im Lauf der Welt - man muss es aber auch nicht.
Niemand weiß, ob einen 2016 der Anschlag eines Terroristen erwischt,
ob einen der Krebs zerfrisst, der Schlag trifft oder man vom Auto überfahren
wird oder ob einfach nur alles weitergeht wie bisher. Was könnte
man daran ändern? Es muss im Leben nicht alles ideal sein, nicht
einmal optimal, na und? Es gibt immer mehr Möglichkeiten als man
sich vorstellen kann."
Diese Form des Fatalismus befreit. Sie trennt das Mögliche vom Unmöglichen.
Sie lenkt den Blick auf das Machbare, auf die Möglichkeiten, die
vorhanden sind, auf das Gute auch im Ausweglosen. Sie macht den Blick
frei auch für das, was gut läuft.
Eine solche Einstellung zum Leben empfinde ich als den "vernünftigen
Gottesdienst", zu dem Paulus die Gemeinde in Rom ermahnt. Diese Ermahnung
betrifft uns als einzelne Christenmenschen und als Gemeinden.
Polizei und besonders die Politiker können natürlich nicht gelassen
bleiben angesichts der Ereignisse in Köln, angesichts der Terrorgefahr,
angesichts der vielen Flüchtlinge, angesichts des Krieges im Nahen
Osten. Hier ist entschiedenen Handeln gefragt. Und das gilt in allen Situationen,
wo Menschen etwas ändern können.
Aber da, wo wir nichts ändern können, gelassen bleiben, diese
Haltung macht auch cool. Im November nach den furchtbaren Anschlägen
in Paris, brachte die TAZ, auch eine überregionale Tageszeitung,
vorn auf der ersten Seite die Schlagzeile: "100 Gründe, um cool
zu bleiben". Ein Grund: "In Deutschland sterben in jedem Jahr
mehr Menschen an Fischgräten als in den vergangenen zehn Jahren bei
terroristischen Anschlägen." Ein anderer Grund "Weil Hysterie
schlecht für Herz und Kreislauf ist."
Das nehme ich mir vor für dieses Jahr: Cool bleiben, Gelassenheit
bewahren, mich nicht verrückt machen mit Gedanken, was alles Schlimmes
passieren kann. Dann schnell fragen: Helfen solche Gedanken und Sorgen?
Und mir klarmachen: Was hilft, ist das Vertrauen auf Gott, der für
uns sorgt.
Literatur: Matthias Dobrinski, Es kommt, wie es kommt, SZ 2./3.01.2016
Hamburg (dpa) -
In einer repräsentativen Studie stellte das Meinungsforschungsinstitut
GfK im Auftrag der Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen einen
starken Stimmungsumschwung im Vergleich zu den Vorjahren fest. Während
sich 55 Prozent der im November Befragten angsterfüllt zeigten, waren
es im Vorjahr nur 31 Prozent. Der wissenschaftliche Leiter der Stiftung,
Ulrich Reinhardt, sprach von einer Rückkehr der "German Angst".
Reinhardts Kollege Horst Opaschowski bestätigte am Mittwoch: "Die
Stimmung kippt. Die "German Angst" kommt wieder." Er beruft
sich dabei auf eine repräsentative Befragung des Ipsos-Instituts
von Anfang Dezember. Demnach sieht jeder zweite Deutsche dem kommenden
Jahr "mit großer Skepsis und gemischten Gefühlen"
entgegen. Der Anteil der Pessimisten stieg von 27 Prozent im vergangenen
Jahr auf 50 Prozent.
Der Anteil der Optimisten sank dagegen drastisch. Vor einem Jahr hatten
sich noch 45 Prozent als Optimisten bekannt. Der Rest der jetzt Befragten
konnte sich nicht entscheiden. Als Antwortmöglichkeiten gab es nur
die Wahl zwischen "großer Zuversicht" und "großer
Skepsis".
Als mögliche Ursache für das Ergebnis nannten beide Zukunftsforscher
vor allem die Flüchtlingskrise und die jüngsten Terroranschläge,
wobei in den Erhebungen nicht nach den Gründen für die Sorgen
der Bürger gefragt worden war. "Die gegenwärtige humanitäre
Krise und die zunehmende Angst vor Terroranschlägen hat die Bevölkerung
tief verunsichert und lässt sie an einer positiven Zukunft zweifeln",
erklärte Reinhardt.
Unter "German Angst" versteht der Forscher das Phänomen,
dass die Deutschen häufig Sorgen haben, die Zukunft werde nicht so
positiv wie die Gegenwart. Opaschowski erinnerte daran, dass er 2007,
knapp ein Jahr nach der Fußball-WM, das "Ende der deutschen
Düsternis (German Angst)" verkündet hatte.
Das GfK-Institut interviewte zwischen dem 6. und 20. November 2000 Bürger
im Alter über 14 Jahre. Mitten in den Befragungszeitraum fielen am
13. November die Anschläge von Paris, die 130 Menschen das Leben
kosteten. Das Ipsos-Institut befragte 1000 Menschen ab 14-Jahre zwischen
dem 1. und 3. Dezember.
Besonders die Älteren ab 55 Jahren äußerten sich in der
GfK-Umfrage besorgt. 64 Prozent sagten: "Ich blicke angstvoll in
die Zukunft." Bei den Jüngeren von 14 bis 34 Jahren waren dies
42 Prozent. Allerdings hat sich damit der Anteil der Furchtsamen in der
jüngeren Generation seit 2013 - als es noch 19 Prozent waren - mehr
als verdoppelt.
Probleme erwarten die von der GfK Befragten in der Wirtschaft. Fast vier
Fünftel - genau 79 Prozent - befürchten, dass die wirtschaftlichen
Probleme Deutschlands größer werden (2014: 66 Prozent). Mehr
als zwei Drittel - 70 Prozent - gehen davon aus, dass Europa weiter auseinanderdriften
wird (2014: 60 Prozent).
Neben der Euro-Krise vertiefte dieses Jahr auch der Umgang mit dem Flüchtlingszustrom
die politischen Gräben innerhalb der EU. Das Umfrageresultat sieht
Reinhardt im Einklang mit dem Rechtsruck bei den jüngsten Wahlen
in mehreren EU-Ländern.
Zugleich befindet sich das Vertrauen in die Politiker auf einem neuen
Tiefpunkt, wie die GfK-Umfrage weiter ergab. 87 Prozent vermuten, dass
die Politiker weiter an Zustimmung verlieren werden (2014: 81 Prozent).
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