"Durch seine Wunden seid ihr heil geworden."
Was für ein Satz. Ein unbekannter Verfasser der frühen Christenheit
hat ihn geschrieben. Er steht im ersten Petrusbrief.
Dem Schreiber geht es darum, seine Mitchristen im Glauben zu stärken.
Er ermutigt sie, in der feindlichen, von den Römern beherrschten
Umwelt, der Gemeinde und dem Glauben treu zu bleiben. Die Gemeindeglieder
sollen wissen, was der Grund des Glaubens ist, woran sie sich halten können,
was ihr Trost ist im Leben und im Sterben.
"Woher kommt Vertrauen?" Mit dieser Schlagzeile machte die
Wochenzeitung "Die Zeit" als Titelge-schichte in der vergangenen
Woche auf. Auch der Untertitel klingt vielversprechend: "Gerade in
unsicheren Zeiten brauchen Menschen dieses Urgefühl." Neugierig
kauften wir die Zeitung. Doch dann ging es um ein Hormon, das man sich
in die Nase sprühen kann. Eine angebliche "Wunderdroge",
mit der die Forscher sogar Krankheiten heilen wollen. Durch "Oxytocin"
werdet ihr geheilt. Was für ein Versprechen!
Ich gebe der Zeit Recht: Wir leben in unsicheren Zei-ten. Was in der
Welt passiert, beunruhigt uns. Einen Grund für die Verunsicherung
und Angst vieler Menschen sehe ich auch darin, dass den Menschen der Glaube
verloren geht. Wo der Glaube an einen helfenden Gott nicht mehr da ist,
soll eine Wunderdroge helfen. Vertrauen, das man sich in die Nase sprüht.
Ein wunderbares Versprechen. Schön, wenn es sich als wahr erweist.
Was für ein Gegensatz dazu der Glaube, den die Bibel verkündet:
"Durch Jesu Wunden seid ihr heil geworden." Der unbekannte Verfasser
sieht im Tod Jesu eine Bestätigung für das, was der erste Teil
der Bibel bereits angekündigt hat. Im Buch des Propheten Jesaja stehen
die Sätze, die der erste Petrusbrief fast wortgleich übernimmt.
Er macht damit seiner Gemeinde deutlich: Unser Glaube hat eine lange Tradition.
Er ist begründet in der Geschichte, die Menschen seit Generationen
mit Gott haben. So schreibt der Prophet:
"Um unsrer Missetat willen wurde er verwundet und um unsrer Sünde
willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,
und durch seine Wunden sind wir geheilt.
Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg.
Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. (Jesaja 53,5-6)
Woher kommt Vertrauen? Für uns Christen kommt es durch Jesu Tod
und Auferstehung. "Durch Jesu Wunden sind wir geheilt." Ich
muss gestehen, dass mir die Opfertheologie sehr fremd ist, die in diesem
Satz zum Ausdruck kommt. Dennoch hat er mich angesprochen, als ich ihn
bei der Vorbereitung auf den heutigen Gottesdienst las. Ich kaue darauf
herum wie auf Schwarzbrot. Mit manchen Bibeltexten geht es mir so, dass
sie mir sehr sperrig vorkommen. Oft lege ich sie gleich zur Seite. Doch
dieser Text forderte mich heraus. Ich will ihn verstehen. Denn das klingt
vielversprechend:
Geheilt seid. Vertrauen können auf den guten Hirten, den Hüter
unserer Seelen, wie der Petrusbrief schreibt.
Vielversprechender jedenfalls als die Aussicht auf eine Wunderdroge, die
mir ein gutes Gefühl vermittelt.
Darum mache ich mich an die Arbeit herauszufinden, was mit diesem Satz
gemeint ist: Durch Jesu Wunden sind wir geheilt.
Er beruht auf der jüdischen Glaubensvorstellung vom stellvertretenden
Leiden. Israel lebte und lebt bis heute mit einem Trauma. Dem Trauma der
Zerstörung des Tempels, der Wegführung nach Babylon, dem Leben
in der Fremde. Dieses Trauma deutete das Volk als Gottferne. Gott hat
uns verlassen. Den Grund dafür suchte es bei sich selbst: Wir haben
uns von Gott entfernt. Genau das bedeutet das Wort "Sünde".
Entfernung, Getrenntsein von Gott.
Nun im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebten die Christen wieder
in großer Unsicherheit. Die Römer beherrschten das Land und
sahen den neuen Glauben als Bedrohung an. Jesus Christus ist unser Herr.
Das war das Bekenntnis der Christen.
Dies betrachteten die Römer als Gotteslästerung. Denn Gott
und Herr über alle und alles war für sie der Kaiser. Neben ihm
durfte es keinen anderen Herrn geben.
Jesus ist selbst von den Römern hingerichtet worden. Er hat nichts
Böses getan, niemanden betrogen, niemanden beleidigt, niemanden bedroht.
Er starb als Unschuldiger. Sein Leiden und Sterben zeigt: Die Römer
können einen Menschen beleidinge, quälen und umbringen, aber
sie können seine Seele nicht töten. So wurde sein Tod ein Zeichen
der Hoffnung: Die Macht der Feinde kann unterbrochen werden. Sie ist begrenzt.
Widerstand ist möglich.
Und dem, der da Stille haltend Widerstand geleistet hat, der sich der
römischen Herrschaft nicht unterworfen hat, der seinem Glauben treu
geblieben ist, dem gibt Gott Recht. Er holt ihn aus dem Tod heraus, lässt
ihn auferstehen und zeigt damit, dass er der Herr ist, mächtiger
als alle Herren dieser Welt.
Und die Anhänger konnten nun glauben: Gott ist an unserer Seite.
Durch Jesu Wunden sind wir geheilt. Geheilt von der Angst, von Gott verlassen
zu sein. Geheilt von der Unsicherheit, durch eigene Schuld von Gott getrennt
zu sein.
So verstehe ich nun den Satz: Jesus ist für unsere Sünden gestorben
oder wie der erste Petrusbrief schreibt: "Er hat unsere Sünden
an seinem Leib hinaufgetragen auf das Holz." Er hat uns erlöst
von der Gottferne. Er hat uns befreit von dem Glauben: ich bin schuld,
wenn es mir schlecht geht. Wenn ich krank bin, ist das eine Strafe Gottes.
Aus Gottes Sicht gibt es nichts, was uns von ihm trennt. "Sünd
ist vergeben, Jesus bringt Leben", singen wir mit dem afrikanischen
Osterlied. Gerade im Leid, gerade dann, wenn es uns schlecht geht, will
Gott uns nahe sein.
So deutet die junge Christenheit den Tod Jesu. Und so kommt der Verfasser
des Petrusbriefes zu diesem Satz: "Durch Jesu Wunden sind wir geheilt."
Wir haben einen Hirten, der uns beisteht und uns vorangeht, der unsere
Seelen behütet, uns tröstet und stärkt zu einem Leben vor
Gott.
Die wachsende Verunsicherung in unserer heutigen Zeit verführt viele
Menschen dazu, einfachen Parolen zu glauben. Dabei ist alles sehr, sehr
kompliziert. Jeder neu aufgedeckte Skandal führt uns das vor Augen.
Das Zusammenleben der Menschheit scheint aus den Fugen zu geraten. Elementare
Menschenrechte werden missachtet. Der Egoismus Einzelner kennt keine
Grenzen. Es scheint ein Motto unserer Zeit zu sein, dass jeder für
sich das meiste herausholt ohne Rück-sicht auf andere Menschen und
auf die Natur.
Jesus hat gezeigt, dass es trotz allem, was in der Welt geschieht, richtig
ist, auf Gott zu vertrauen und im Vertrauen auf ihn Nächstenliebe
zu üben, für gerechte Verhältnisse einzutreten und darauf
zu pochen, dass jedem Menschen seine Würde belassen wird.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar." So lautet der
erste Satz unseres Grundgesetzes. Was für ein schöner Satz!
Doch die Würde wird angetastet. Auch von Menschen, die als Fremde
zu uns kommen. Das auszusprechen, auch das gehört zu dem Weg, auf
dem Jesus uns vorangeht. Es gibt gute und böse Menschen überall.
Das Böse gilt es beim Namen zu nennen, egal wer es tut. Für
uns Christen darf es keinen Maulkorb geben, dass wir nur das uns zu sagen
trauen, was ´politisch korrekt` ist.
Durch Christi Wunden sind wir geheilt worden von jeglichem Zwang. Jesu
Auferstehung lässt uns hof-fen, dass Unrecht nicht siegt und alles,
was auf Betrug und Gewalt gebaut ist, keinen Bestand hat.
Der gute Hirte geht uns voran. Hirten sollen wir auch selbst sein, so
schreibt der 1. Petrusbrief. Wir sollen aufeinander achten und füreinander
da sein.
Als Christen, als Gemeinde haben wir diese Aufgabe in der Gesellschaft.
Wir sind dazu da, den Glauben an Gott wachzuhalten. Den Glauben daran,
dass wir nicht allein sind auf dieser Welt, sondern gehalten und von guten
Mächten wunderbar geborgen. Und wir sind dazu da zu zeigen, was aus
diesem Glauben erwächst: nämlich die Bereitschaft, füreinander
und für andere Menschen da zu sein.
An vielen Orten in unserem Land sind Christen für die Menschen da,
die nach lebensbedrohlicher, wochenlanger Flucht auf ihrer zerstörten
Stadt hierher gekommen sind. Oft sind es nur die christliche Gemeinden,
die sich für die Flüchtlinge einsetzen und mit dafür sorgen,
dass diese Gesellschaft nicht ganz auseinander bricht.
Als Christen hoffen wir auf eine gerechtere, friedlichere Welt. Und wir
arbeiten daran mit, so gut wir können und so weit es in unseren Kräften
steht.
Durch Jesu Wunden sind wir geheilt. Wir haben alles, was wir zu einem
guten Leben brauchen, zu einem Leben, mit dem wir zufrieden sein können.
Wir haben etwas, worauf wir unbedingt vertrauen können: Gott ist
da, auch wenn der Weg durch ein dunkles Tal geht. Nichts kann uns von
ihm und seiner Liebe trennen. Durch Jesu Tod und Auferstehung wissen wir:
Er lebt, der gute Hirte, der unsere Seelen behütet.
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