In diesem Sommer rief mich eine Journalistin von der
WAZ an, sie wolle eine Reportage über die Kirche schreiben. Wir verabredeten
einen Ortstermin und dann bat sie mich: "Nun erzählen Sie mir
mal was über Ihre Kirche."
Ich ging mit ihr in den Mittelgang und bat sie, sich in Ruhe umzuschauen.
Dann fragte ich: "Was sehen Sie nicht in dieser Kirche?" Sie dachte
nach, ihr fiel nichts ein.
Ich löste das Rätsel: "Normalerweise sehen Sie, wenn Sie
eine Kirche betreten, vorn ein großes Kreuz." "Ja, stimmt",
sagte sie. Ich erklärte ihr, warum das hier in dieser Kirche anders
ist. Dann wies ich sie darauf hin, dass der Innenraum, in dem wir jetzt
sind, in Form eines Kreuzes gestaltet ist. Dazu gibt es eine Reihe von
Kreuzen, die auf das Holz gemalt sind, und in den Fensterbildern oben
links und rechts neben der Orgel.
So weist diese Kirche mit ihrer Architektur hin auf den, der auch ihr
Grund ist, wie man hier vorn lesen kann: Jesus Christus.
Jesus ist der Name dafür, dass Gott da ist und hilft. Das Kreuz,
das er getragen hat und an dem er gestorben ist, zeigt, dass Gott auch
in schweren Stunden an unserer Seite ist, ja gerade in schweren Stunden.
Wir sind nie allein. Ein liebender Gott ist da, gibt uns Kraft und Zuversicht.
Ihr, die ihr heute euer Jubiläum feiert, habt das vielleicht manchmal
in eurem Leben erfahren. Ich selbst gehöre auch zu den Goldkonfirmanden,
und ich kann mich an etliche Situationen erinnern, in denen ich gespürt
habe: Gott ist da als mein Schutz und Helfer. Er zeigt mir einen Weg,
wo ich unsicher bin. Er stärkt mich zu vertrauen darauf, dass er
alles gut machen wird, so wie er es zugesagt hat.
Eine Zusage Gottes habt ihr alle mit auf den Weg bekommen, euren Konfirmationsspruch.
Einige haben ihren Spruch mitgenommen als stillen Begleiter auf ihren
Lebenswegen.
Als wir über die heutige Feier sprachen, habe ich gefragt, was hängen
geblieben ist aus dem Unterricht vor der Konfirmation. Einige erinnerten
sich an die Frage 1 aus dem Katechismus: "Was ist dein einiger Trost
im Leben und im Sterben: Dass ich im Leben und im Sterben, beides, nicht
mein, sondern meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin".
Viel war das nicht, was vom Unterrichtsstoff noch im Gedächtnis
ist. Von dem, was drumherum passierte, ist mehr hängen geblieben.
Die Goldkonfirmanden, die hier in Wanheim zum Unterricht gegangen sind,
erinnern sich, dass sie einen tollen Pastor hatten. Er war menschlich,
eine Vaterfigur, so schildern sie Helmut Blank. Der ist am 5. Oktober
gestorben. In den letzten Jahren hat er sehr abgebaut, 88 Jahren ist er
alt geworden. Ihr habt ihn in guter Erinnerung.
Trotzdem war die Prüfung mit Angst verbunden. Die jungen Leute, die
heute zum Konfirmandenunterricht gehen, können sich das gar nicht
mehr vorstellen. Früher war das so: Hier vorn an dieser Wand standen
Stühle. Darauf saßen die Presbyter, ältere Herren, dunkel
gekleidet, sie schauten streng in die Runde, ein bedrohlicher Anblick
für die Jungen, die konfirmiert werden wollten. Sie mussten nun der
Reihe nach Sprüche aufsagen, die sie in den zwei Jahren gelernt hatten.
Der Pastor war so freundlich, den Jungen und Mädchen vor der Prüfung
zuzustecken, was er sie fragen würde.
Ich selbst habe es erlebt in meiner Heimatgemeinde, dass die Herren vom
Presbyterium tatsächlich ein Mädchen durchfallen ließen.
Bevor wir konfirmiert wurden, hatten wir nachzuweisen, dass wir ordentlich
gelernt haben. Das Gehirn hat die gelernten Dinge im Kurzzeitspeicher
abgelegt, sodass sie nach der Konfirmation schnell vergessen waren.
Wichtiger als die Kirche waren für die Mädchen die Jungen und
umgekehrt für die Jungen die Mädchen. Bei Radio Luxemburg lief
jeden Sonntag Mittag die Hitparade, moderiert von Camillo Felgen, ab 1968
von Frank Elstner, der sich damals Tim nannte. Die Beatles waren groß
im Geschäft, auch Gruppen wie die Kinks, Manfred Man, die Monkeys,
die Bee Gees, natürlich die unverwüstlichen Rolling Stones,
die auch als Opas noch die Stadien zum Toben bringen. In der Hitparade
hatten auch deutsche Schlagersänger ihre Chance, Roy Black, der Schwarm
vieler Mädchen und Mütter, Gitte, Rex Gildo. Damals gab es noch
echte Schallplatten, Singles, auf denen ein Hit war, auf der Rückseite
ein zweiter Song, der meistens nicht so toll war. Und es gab die LPs mit
zwölf Liedern, manchmal auch ein paar mehr.
Ein Ort, wo Jugendliche sich trafen, war in Wanheim das Luxor Kino im
Jägerhof. 50 Pfennig kostete der Eintritt. Winnentou war in oder
der Western "Flammender Stern" mit Elvis Presley.
Ein Höhepunkt für mich im Konfirmationsjahr 1966 war der 5.
Mai. Da spielte Borussia Dortmund im Endspiel des Europapokals der Pokalsieger
gegen den FC Liverpool und gewann durch ein kurioses Tor von Stan Libuda
in der Verlängerung mit 2:1. "Das Wunder von Glasgow",
titelte die Zeitung, denn Liverpool galt als klarer Favorit und bis zu
diesem Tag hatte noch keine deutsche Mannschaft einen Europapokal gewonnen.
Ein anderes wichtiges Ereignis war der 30. Juli. England gegen Deutschland
hieß das Endspiel der Fußball WM. Durch das berühmte
Wembley-Tor, das kein wirkliches Tor war, gewann England den Titel. Ich
war zu der Zeit in der Obertertia, so hieß damals die Klasse 9.
Die meisten meiner Mitkonfirmandinnen und -konfirmanden mussten bereits
arbeiten.
Die Konfirmation fand kurz vor Ostern statt. Vor den Osterferien endete
das Schuljahr. Wer zur Volksschule ging, für den begann am 1. April
die Lehre. Das war zu der Zeit der normale Weg eines jungen Menschen.
Acht Jahre Volksschule, mit vierzehn fertig und dann drei Jahre Lehre.
Einer der Älteren erzählte, dass er am 15. April konfirmiert
wurde. In dem Jahr lag Ostern sehr spät. Am nächsten Tag musste
er um sechs Uhr morgens bei Mannesmann antreten, um die Lehre zu beginnen.
Eine aus dem Kreis der Diamantenen Konfirmandinnen wurde in Polen konfirmiert.
Was sie erlebte, ist für unsere Jugendlichen heute unvorstellbar.
Sie hatte einen kilometerlagen Weg zur Kirche, zu Fuß natürlich.
Weil der Weg so weit war, fand der Unterricht nach dem Gottesdienst statt.
Der Gottesdienst wiederum wurde in der Friedhofskapelle gefeiert, weil
die Kirche neun Jahre nach dem Krieg noch nicht wieder zu benutzen war.
Noch weit schlimmer waren die Verhältnisse für die unter uns,
die im Krieg oder kurz nach dem Krieg konfirmiert wurden. Hier in Wanheim
war Helmut Pickert zu der Zeit Pfarrer. Weil er in den Kriegsdienst eingezogen
wurde, vertrat ihn der Wedauer Pastor Schindelin.
Seitdem ist sehr sehr viel passiert. Nach dem Tod von Manfred Krug, dem
Tatortkommissar, lief am Freitag vor einer Woche noch einmal ein Film
mit ihm aus dem Jahr 1992. Er telefonierte mit einem Apparat, der fest
an einer Schnur hing, die mit der Anschlussdose verbunden war. Gewählt
wurde mit einer Drehscheibe. Ihr, die ihr Silberkonfirmation feiert, kennt
das noch. Im gleichen Jahr, 1992, nahmen die Mobilfunknetze D 1 und D2
den Betrieb auf. Seitdem verbreiteten sich die Handys in rasender Geschwindigkeit,
das erste iPhone kam 2007 auf den Markt. Heute kommt kaum mehr jemand
ohne so ein Gerät aus.
Viel ist passiert drumherum. Das alles gehört nach Martin Luther
zu den Äußerlichkeiten. Die 500-jährige Wiederkehr seiner
Befreiungstat von den Fesseln der katholischen Kirche feiern wir in dem
nun folgenden Jahr. Luther spricht neben dem äußeren auch von
einem inneren Menschen. Das ist der spirituelle Mensch, der Zugang hat
zum Glauben. Was ist mit diesem inneren Menschen passiert in all den Jahren?
Was hat die Seele erlebt? Welche Erfahrungen hat sie gemacht?
Vieles, was unser Inneres spürt, ist unbewusst. Gottes Anwesenheit
und sein Wirken liegen selten offen zutage. Auch ich muss es mir immer
wieder mal selbst klarmachen, dass ich einen stillen Begleiter habe, Gottes
Heiliger Geist, der aufrichtet, tröstet, Mut macht und Kraft gibt.
Mir wird das besonders bewusst in Situationen, in denen ich in Gefahr
oder Bedrängnis bin, in denen ich Angst habe und mit Sorge auf das
blicke, was vor mir liegt. Dann rufe ich Sätze in mir wach, Sätze
aus der Bibel oder dem Gesangbuch, die mir Halt geben.
Dass Gott da ist, spüre ich auch im Zusammensein mit anderen Menschen.
Mit einigen, die zu den Goldjubilaren gehören, bereite ich jetzt
zum vierten Mal ein Stück vor, das wir am Heiligen Abend in der Kirche
aufführen. Die Vorbereitungstreffen sind, wie einer geschrieben hat,
eine willkommene Abwechslung zum Alltagsstress. Wir spüren miteinander
etwas von dem Zauber, der von dem weihnachtlichen Geschehen ausgeht.
Der Kern dieses Geschehens ist, dass Gott in unsere Welt hineinkommt.
Auf diese Weise zeigt er uns Menschen, wie wichtig wir ihm sind und wie
sehr er uns liebt.
Liebe ist sein Wesen, so fasst ein Brief der jungen Christenheit die Botschaft
der Bibel zusammen.
"Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott
und Gott in ihm."
Das Kind in der Krippe wuchs heran zu einem Menschen, in dem Gott sich
der ganzen Menschheit sichtbar gemacht hat. Zum Anfassen nahe ist er uns
Menschen gekommen.
Für Martin Luther war dies die zentrale Erkenntnis: In Gottes
Liebe bin ich geborgen und aufgehoben, ohne etwas dafür tun zu müssen.
"Das habe ich mir verdient", so höre ich Menschen sagen,
wenn sie sich etwas Gutes gönnen. Sie haben sich angestrengt und
etwas geschafft. Jetzt belohnen sie sich selbst mit etwas Schönem.
Gottes Liebe können wir uns nicht verdienen. Auch das hat Luther
immer wieder gesagt. Dafür sind wir zu sehr Mensch, bleiben uns selbst
und anderen Menschen etwas schuldig. Gott liebt uns ohne unseren Verdienst.
Das ist die bahnbrechende Botschaft, die Luther beim intensiven Studieren
der Bibel zuteil geworden ist.
"Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt". Ich nehme das
"in" mal ganz wörtlich: in der Liebe, von ihr umhüllt.
Das ist es, was uns allen bei der Konfirmation zugesprochen wurde. In
unterschiedlicher Weise sicherlich und zu verschiedenen Zeiten. Aber das
ist der Kern der eigentlichen Konfirmationshandlung: Da sind wir eingesegnet
worden. So nannte man das früher. So habe ich es auch empfunden.
Zusammen mit meinen drei Mitkonfirmanden kniete ich vor dem Altar. Der
Pastor legte uns die Hände auf und sprach uns den Segen zu. Viele
hier haben das ähnlich erlebt. Andere haben den Segen stehend empfangen.
Die Bedeutung ist die gleiche: Wir stehen unter Gottes Schutz. Mit seiner
Gegenwart umhüllt er uns wie mit einem Mantel. Ich habe diese Einsegnung
als sehr bewegend erlebt, die Konfirmation insgesamt ist ein ganz besonderer
Tag in meinem Leben. Die Familie war zusammen, Eltern, Geschwister, Großeltern,
Onkel und Tanten. Von allen erfuhr ich an diesem Tag eine besondere Wertschätzung.
Die Konfirmation war für mich ein Meilenstein auf dem Weg, Pastor
zu werden und später selbst anderen Menschen den Segen zuzusprechen.
Wir stehen unter Gottes Schutz, sind ummantelt von seiner Liebe. Ihr Jubilare
habt euch das im Laufe eures Lebens immer wieder mal sagen lassen. In
Gottesdiensten zu unterschiedlichen Zeiten und Gelegenheiten ist euch
immer wieder den Segen Gottes zugesprochen worden. Gott war und ist einfach
da als unser stiller Begleiter.
"Wer in der Liebe bleibt", das drückt auch eine Haltung
aus. Es beginnt mit dem Aufwachen am Morgen: dankbar und froh empfange
ich den neuen Tag, der mir geschenkt wird. Im Laufe des Tages habe ich
mit anderen Menschen zu tun. In der Liebe bleiben, heißt, den Menschen
mit Respekt und Freundlichkeit begegnen.
Die Mächtigen in Amerika sind da ein ganz schlechtes Vorbild, sie
machen aller Welt genau das Gegenteil vor. Und das färbt ab. Viele
einfache Menschen fühlen sich ermutigt, auch mal die Sau rauszulassen,
wenn ihnen etwas nicht passt. In unserem Land sind es bestimmte Gruppen
und eine sogenannte alternative Partei, die ähnlich respektlos über
andere herziehen. Und viele andere finden das gut, applaudieren den Hetzrednern
und geben ihre Stimme für sie ab.
Wenn wir wissen wollen, wie das geht, in der Liebe zu bleiben, dann müssen
wir auf Jesus schauen. Er hat mit Worten und Taten gezeigt, was das heißt:
Es sind die vielen Dinge, mit denen wir unseren Mitmenschen Gutes tun.
Jesus ist in diesem Haus gegenwärtig. Sobald wir es betreten, befinden
wir uns im Zeichen des Kreuzes, befinden wir uns in der Obhut der Liebe
Gottes. Unter uns das Kreuz, über uns unter der Decke der Spruch:
Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit."
Vor uns dieser Vers. Son sind wir umgeben von Jesus Christus, von seiner
Liebe. Das Schöne und Tröstlich ist: Nichts kann uns davon trennen.
Gott wird uns niemals seine Liebe entziehen.
Das haben viele von euch noch aus der Konfirmandenzeit behalten: Im Leben
und im Sterben gehören wir zu Jesus Christus, ist er an unserer Seite.
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