Leitartikel: 80 Meter bis zur Geburt Jesu - Teil 1
Unter den vielen Krippen, die ich in meinem Leben gesehen habe,
fasziniert mich eine ganz besonders: "Die Große Krippe"
des Künstlers Martin Burchard. Ich habe sie auf der Weltausstellung
Reformation 2017 in Wittenberg gesehen.
Sie ist ca. 80 Meter lang und besteht aus über 2.000 Kanthölzern;
für jedes Jahr seit der Geburt Jesu eins. So wird die Krippe
zu einem Zeitstrahl über 2022 Jahre. Du stehst im Hier und
Jetzt und stehst nur 80 Meter von der Geburt Jesu entfernt. Was
sonst auseinanderfällt, auf einmal rückt es zusammen.
80m von der Geburt Jesu entfernt. Das erlebten doch nur die Hirten,
als sie zur Krippe gingen. Wie die sich wohl gefühlt haben,
als sie nur noch 80 Meter von dem Heiland der Welt entfernt waren
und den Stall sahen? Diese Krippe macht mich zum mitgehenden Hirten.
Ich bin neugierig und gehe los. 80 Meter. Die sind überschaubar.
Kommen Sie doch mit. Man "besichtigt" diese Krippe besser
zu zweit. So bewegend ist sie.
Wir starten bei 2022. Heute. Komm, wir gehen in die Hocke. Wir
blicken durch gut 2000 Krippenstäbe. Es liegt viel Zeit zwischen
der Geburt Jesu und uns heute. Und doch ist sie nicht endlos. Guck
mal, da hinten, 80 m entfernt, ist das Ende - nein, der Anfang in
Sicht. Die Geburt Jesu - auf einmal ist sie in Sichtweite. Das macht
Lust, loszugehen. Eine Tafel entlang der Krippe zeigt uns wichtige
Ereignisse und Jahre.
Wir gehen ein paar Schritte und merken: auch unsere Lebenszeit
kommt in der Krippe vor. Bleib mal stehen. Wir stehen im Bereich
unserer Jugendjahre. Was für mich gefühlt weit auseinanderfällt,
hier ist es ein Katzensprung. Es gehört zusammen, unsere Jugend
und das Heute.
Wir gehen weiter. An meinem Geburtsjahr bleibe ich stehen und berühre
das Kantholz für mein Geburtsjahr. Wo ist deins? Mein Gott,
unsere Geburt, die war ja eben erst. Unser Leben "rückt
zusammen" zu einem Augenblick.
Guck mal nach rechts und links auf den Anfang und das Ende der Krippe.
Wow, unser Leben, auf einmal ist es eingeordnet in einen großen
Zusammenhang. Jetzt ist es sichtbar. Wir sind Teil der Welt- und
Krippengeschichte. Siehst du es auch? Unser Leben ist auch ein Beitrag
dazu, wenigstens ein paar Kanthölzer lang. Ist das übertrieben?
Ich finde nicht. So ist es doch. Wir sehen es genau. Auch wir tragen
zum Ganzen bei. Unser Leben - hier wird es zu einem Teil der Weltgeschichte
und der "Krippengeschichte", der Geschichte Gottes mit
uns.
Weißt Du, was mir gerade durch den Kopf geht? Wie viele Milliarden
Menschen stehen eigentlich mit uns an dieser Krippe - heute und
durch die beiden Jahrtausende hindurch.
Wenn gesellschaftlicher Zusammenhalt ein wichtiges Thema unserer
Tage ist - die Krippe macht Zusammengehören und Zusammenhalt
auf ungeahnte Weise erfahrbar. - Ist das göttliche Weisheit,
wie sehr alles in ihm zusammengehört?
Wir gehen weiter. Was machst Du denn da? Was jede/r hier über
kurz oder lang tut: Wir beugen unsere Köpfe in die Krippe.
Wie Ochs und Esel beim Fressen. Ich muss lachen. Eine Frau in der
Nähe scheint unsere Gedanken zu erraten. Sie lacht uns an.
Überhaupt fühlt man sich mit den anderen hier an der Krippe
verbunden - verbunden auch mit denen, die vor uns gelebt haben und
an ihren Jahreskanthölzern jetzt auch an der Krippe stehen.
Eine Krippe ist ein Futtertrog. Ernähren wir uns und leben
wir alle von dem Gleichen? Diese Krippe scheint das nahezulegen.
Und sie behauptet, das hat was mit Gott zu tun. - Wir müssen
darüber nochmal nachdenken.
Ein Kind überholt uns und läuft die Krippe entlang. Komm,
wir gehen hinterher. Sorglos läuft es die Weltgeschichte entlang.
Wir sind im Bereich der Weltkriege. Ein seltsames Gefühl beschleicht
mich. mich. Als stünde ich unter denen, die damals gelebt haben.
Das Kind springt und hüpft. Wenn es wüsste, was hier los
war. - Ich schaue die Kanthölzer an. Was habt ihr damals nur
gemacht? Ich schaue zu den Kanthölzern unserer Jahre hinüber.
Was meinst Du? Sind wir heute schlauer? - Lass uns später darüber
reden. Besser keine schnelle Antwort. Bin gerade sensibel gegenüber
Überheblichkeit.
Bei Kantholz 1934 steht: "Barmer Theologische Erklärung
gegen die deutschchristliche Naziideologie." Respekt. So wichtig
kann ein Kantholz in einer 80 Meter langen Krippe sein. Haben wir
doch gesagt: auch unser "Lebenskantholz" ist wichtig und
soll es sein. Siehe oben. Aber, wie sind die 1934 in Barmen wichtig
geworden? Die haben in die Krippe geschaut, und nicht bloß
nach rechts und links auf das, was man und Mensch so denkt. Der
Blick in die Krippe hat ihre Seele erbaut. Ihre Gedanken geordnet.
Ihren Geist richtig ausgerichtet. Das hat auch was mit Gott in der
Krippe zu tun.
Oh, ich weiß, wir müssen weiter. Wir gehen auf Weihnachten
zu. Es ist ja nicht zu übersehen. Guck, da vorne ist es. Die
Distanz wird mit jedem Schritt kleiner. Ich bin gespannt. Wie geht
es unterwegs weiter? Unbedingt möchte ich ganz vorne einen
Blick in die Krippe werfen.
Herzliche Einladung zu TEIL 2: Im Gottesdienst am 2. Weihnachtstag
setzen wir unseren Gang entlang der Krippe fort. Gerne mit Dir.
2. Weihnachtstag, 10 Uhr Gnadenkirche, Musikalischer Gottesdienst
Rolf Seeger
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